Tair Kaminer: „Warum ich verweigere“

Ausriss aus: +972 Magazine

Die Israelin Tair Kaminer, die im November zusammen mit Yaron Kaplan in Bremen war, ist jetzt nach ihrer Einberufung wegen ihrer Verweigerung des Kriegsdienstes inhaftiert worden. Es wird erwartet, dass sie zu einem Monat Haft verurteilt wird. Der Kommentar von Tair Kaminer: „Vor dem Militärgefängnis fürchte ich mich weniger als vor unserer Gesellschaft, die ihre Menschlichkeit verliert.“ Ungefähr 40 Demonstranten begleiteten die Kriegsdienstverweigerin am Sonntag zur Tel Hashomer Militärbasis, wo sie verurteilt werden soll.

In Israel gibt es keinen zivilen Ersatzdienst, weswegen alle Verweigerer inhaftiert werden.
Man kann auch einen Protestbrief an den israelischen Verteidigungsminister Moshe Ya’alon schicken: <http://www.connection-ev.de/israel-refuser-form> oder ein Unterstützungsschreiben an Tair selbst (ebendort).

Die Gruppe »Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost« dokumentiert auf ihrer Webseite die Erklärung Kaminers in einer Übersetzung von Rolf Verleger:

„Ich heiße Tair Kaminer, ich bin 19. Vor kurzem haben ich mein freiwilliges Jahr bei den Pfadfindern in Sderot beendet. In ein paar Tagen werde ich wohl ins Gefängnis kommen. Ein ganzes Jahr war ich als Freiwillige in Sderot, ich habe mit Kindern gearbeitet, die im Kriegsgebiet leben, und dort habe ich mich entschlossen, den Dienst im israelischen Militär zu verweigern.

Ich verweigere, weil ich für meine Gesellschaft einen Beitrag leisten und sie verbessern möchte, als Teil eines langwierigen Kampfes für Frieden und Gleichberechtigung. Die Kinder, mit denen ich gearbeitet hatte, wuchsen im Herzen des Konflikts auf und hatten von klein auf schockierende Erlebnisse – Erfahrungen, durch die viele von ihnen großen Hass ausbildeten; man kann das verstehen, besonders bei so kleinen Kindern. Wie sie lernen viele Kinder, die – in noch schwierigerer Lage – in Gaza oder den Gebieten [im Westjordanland, jW] aufwachsen, die andere Seite zu hassen. Auch ihnen kann man dafür nicht die Schuld geben. Wenn ich all diese Kinder gemeinsam betrachte, die kommenden Generationen beider Seiten und die Umstände, unter denen sie aufwachsen, dann sehe ich eine Kette von Trauma und Schmerz. Und ich sage: Es reicht!

Seit Jahren gibt es keine Aussicht auf politischen Fortschritt, es gibt keinen Versuch mehr, Frieden nach Gaza und Sderot zu bringen. Aber solange der militärische, gewaltsame Weg weiter beschritten wird, produzieren wir auf beiden Seiten Generationen voll Hass, die die Lage weiter verschlimmern werden. Man muss damit aufhören.

Ich verweigere, um keine aktive Rolle bei der Besatzung der palästinensischen Gebiete zu spielen und beim Unrecht, das dem palästinensischen Volk unter der Besatzung zugefügt wird. Um nicht teilzuhaben am Kreislauf des Hasses in Gaza und Sderot. (…)

In Gesprächen haben mich mir nahestehende Menschen beschuldigt, dass ich der Demokratie schade, wenn ich nicht die Gesetze des Staates einhalte. Aber die Palästinenser in den besetzten Gebieten leben unter der Herrschaft der israelischen Regierung, obwohl sie sie nicht gewählt haben. Solange Israel ein Besatzerstaat bleibt, wird es sich weiter davon entfernen, ein demokratischer Staat zu sein. Daher ist die Verweigerung Teil des Kampfes um Demokratie und kein Akt gegen die Demokratie.

Man sagt mir, dass ich mich der Verantwortung für die Sicherheit des Staates Israel entziehe. Aber mir, als einer Frau, die alle Menschen als gleich betrachtet und deren Leben für gleich wichtig hält, fällt es schwer, an das Sicherheitsargument zu glauben, solange es einzig und allein für die Juden gelten soll. Besonders jetzt, wo die Terrorwelle weiter wächst, wird klar, dass das Militär nicht einmal die Juden schützen kann, denn es gibt keinen Weg zur Sicherheit inmitten des Besatzungszustands. Wirkliche Sicherheit wird dann entstehen, wenn das palästinensische Volk in Würde und Freiheit in einem unabhängigen Staat Seite an Seite mit Israel leben wird. (…)

Das Militärgefängnis macht mir weniger Angst als der Verlust der Humanität in unserer Gesellschaft. Ich möchte nicht Dinge tun, hinter denen ich nicht stehen kann, und dann im nachhinein das Schweigen brechen. Ich verweigere, und auch ihr solltet darüber nachdenken.

Quelle (mit freundlicher Genehmigung): junge Welt v. 15.01.16

Sönke Hundt

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