Avraham Burg: „Einzige Halbdemokratie im Nahen Osten“

Avraham Burg. Foto: GNU Free Documentation Licence

Man muss es laut sagen: Der Aufstieg der Rechten in Israel ist nicht vorübergehend, die Besetzung ist permanent, und Israel ist ein Staat mit zwei Regimen: Das eine ist gut und funktioniert gut für die Juden; das andere ist schlecht und bösartig, und diskriminiert Palästinenser. Jetzt ist es an der Zeit, das Regime zu bekämpfen.

Nehmen wir an, dass alles wahr wird, wovon die Verfolger auf der Rechten träumen. Der New Israel Fund hört auf zu existieren, ebenso Breaking the Silence. Die Zeitung «Haaretz» geht den gleichen Weg wie «Davar», «Chadaschot» und «Al Hamischmar», alles Zeitungen gesegneten Andenkens. Meretz wird todkrank, Ayman Odeh, Chef der Vereinten arabischen Liste, gibt seinen Kritikern nach und hält den Mund, Isaak Herzog und seine Arbeitspartei halten ihr geschwätziges Schweigen aufrecht, und unser Präsident Reuven Rivlin hört auf, Meinungen zu haben. Wahrlich das messianische Zeitalter.

Vom ersten Morgengrauen bis zur letzten Nachtwache werden wir den diversen ideologischen Ausführungen zuhören, angefangen beim TV-Mann Erel Segal, über Sheldon Adelson und den Rechtsextremisten Baruch Marzel bis zu dessen Gesinnungskollegen Arieh Eldad, Yoaz Hendel oder Israel Harel. Niemand wird sie daran hindern, Israel in einen Paria-Staat zu verwandeln, der sich komischerweise verfolgt und bedauernswürdig vorkommt, weil diese komische demokratische und gesetzestreue Welt uns ausstossen wird.

Verehrte Leser, das ist kein weit hergeholter Albtraum eines verfolgten Linken. Das ist das aktive Ideal vieler Führer und Repräsentanten der Rechten, vielleicht sogar seiner Mehrheit. Und ich sage: Nur zu so! Es ist wichtig, dass dies auch geschieht. Wir dürfen euch nicht im Wege stehen. Ihr habt, im Gegenteil, unseren Segen, macht weiter so und schreitet mit aller Kraft voraus. Ihr sitzt in der Regierung, ihr seid die Regierung, macht mit ihr, was ihr wollt. Und eines Tages werden wir uns vielleicht wieder im Stimmlokal treffen (wenn so etwas dann überhaupt noch existiert).

Viele Jahre lang konnte die Rechte tun und 
lassen, was sie wollte: Unruhen in den Gebieten anzetteln, annektieren und unterdrücken, weil die närrische Linke allem den Koscherstempel verlieh. Während die Rechte auf den Hügelspitzen baute, Land stahl und die ursprünglichen Einwohner der Gebiete enteignete, reisten wir durch die ganze Welt und beruhigten die Freunde Israels und uns selber. «Es ist vorübergehend», versprachen wir. «Irgendetwas wird schon bald geschehen.» Hillary Clinton wird kommen und John Kerry wird zurückkehren, Barack Obama wird sich den Mund wundreden, und Binyamin Netanyahu ist an der Bar-Ilan-Universität.

Während die Rhetorik der «zwei Staaten» in der Welt der Worte siegreich ist, herrscht in der Welt der Taten die erobernde Rechte. Und sie hungert nach immer mehr. Der Skorpion will den Frosch, der ihn über den Teich trägt, immer wieder töten.

Die Zeit ist für alle Prinzen der Linken und ihre Frösche gekommen, damit aufzuhören, den rechtsgerichteten Mechanismen der Selbstzerstörung, die heute in Israel mit voller Kraft voraus eingesetzt werden, ihre Dienstleistungen zu offerieren. Wir müssen offen und unzweideutig zugeben: Der Aufstieg der Rechten ist nicht vorübergehend, die Besetzung ist permanent und Israel ist ein Staat mit zwei Regimen: Eines ist gut und funktioniert gut für die Juden. Das andere ist schlecht, bösartig und diskriminiert Palästinenser. Der Kampf von hier und weiter dreht sich nicht um Täuschungen über einen Frieden «unmittelbar um die Ecke», nicht um die Schaffung einer illusorischen Realität, gemäss welcher nun jede Minute, sozusagen aus dem Nichts heraus, ein Trennungsabkommen erscheinen und uns erlösen wird. Dieser Kampf dreht sich um Leben und Tod, zwischen einem schlechten Einstaatregime und einem Staat, der gut ist für beide Völker.

Die israelische Linke (deren Existenz unsicher ist) muss, ohne die Wörter im Mund herumzudrehen, sagen: Wir haben genug davon, ein kleines Feigenblatt zu sein für eure grosse Nacktheit. Schauen wir doch mal, wie ihr ohne unseren Schutz in die Welt hinausgeht. Schauen wir doch mal, wie ihr euch wieder damit brüstet, dass Israel «die einzige Demokratie im Nahen Osten» ist. Eine Demokratie mit einer Stimme, einer ethnischen Gruppe, einer Religion, einem Premierminister und einer öffentlichen Meinung. Dafür gibt es Modelle in der Welt, wie zum Beispiel Nordkorea und die internationale Haltung ihm gegenüber. Ihr alleine seid dafür verantwortlich, und ihr alleine werdet die Konsequenzen tragen müssen.

Der gleichen saft- und kraftlosen Linken muss auch gesagt werden: Fangt jetzt nicht an mit 
leeren Behauptungen von «Verantwortlichkeit» oder «wir dürfen den Staat nicht im Stich las-
sen» und all den anderen Dingen, die mit dem gemeinsamen Sitzen rund um den Kabinettstisch enden. Eine klare, zielgerichtete israelische Politik erfordern zwei Dinge, die ihr nicht besitzt. Erstens das Offerieren einer vollen, kompletten Alternative, um die man verbissen kämpft. Zweitens muss man Prozessen gestatten heranzureifen und sich zu vervollkommnen. Niemand hat euch zu den Rettern der Rechten ernannt. Lasst den Bibiimus seinen Weg fortsetzen, und er wird von alleine in sich zusammenfallen. Er wird euch in die Hände fallen, wenn ihr mit einer Alter­native aufwartet, die diesen Namen verdient.

Jeder muss das Offensichtliche erkennen. In Israel tobt ein fürs Erste noch kalter Bürgerkrieg zwischen den Organisationen Im Tirzu und Breaking the Silence. Die erste ist an der Macht, und trotz ihres Jammerns stellt sie die schlimmstmögliche Macht und brutale Gewalt dar. Um sie zu besiegen, muss Breaking the Silence zu einer gros­sen politischen Bewegung werden, die über das schreckliche «Mikro» der Shuhada-Strasse in Hebron hinausgeht und das Schweigen rund um den israelischen Betrug vollkommen bricht: Die israelische Demokratie liegt im Sterben. In ihrem jetzigen Zustand ist sie die einzige Halbdemokratie im Nahen Osten.

Das reicht aber noch nicht. Ob wir weiter schweigen oder nicht, ob wir es wollen oder nicht: Die Zeit ist gekommen, um für eine säkulare Demokratie zu kämpfen, die all ihren Bürgern gehört, in der es eine totale Trennung zwischen Religion und Staat gibt, dessen öffentliche Ressourcen fair und transparent verteilt werden, in dem es volle verfassungsmässige Gleichheit zwischen Männern und Frauen, Mehrheit und Minderheit, Religiöse und Säkulare gibt, und einen Staat, der friedliebend und grosszügig ist, nicht besetzend und nicht annektierend.

Avraham Burg war ein ehemaliger Knessetsprecher und sass lange als Vertreter der Arbeitspartei im 
israelischen Parlament.

Quelle (mit freundlicher Genehmigung): Tachles v. 08.01.2016

 

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