„Israel zerbricht an seinem Hass“

Ron Huldai, Bürgermeister in Tel Aviv. Foto: PikiWiki Israel

„Israel zerbricht an seinem Hass“ – so überschreibt die Frankfurter Rundschau ihren Bericht über den Bürgermeister von Tel Aviv und seine jüngsten Äußerungen im Armee Radio über das Attentag im Sarona-Markt. Was war passiert? Zwei Palästinenser, in seriöse Anzuge gekleidet, hatten plötzlich in einem Restaurant innerhalb des beliebten Marktes ihre Waffen gezogen und wahllos auf Passanten geschossen. Sie töteten vier und verwundeten drei Menschen schwer. Die Verwundeten wurden sofort in das nächste Krankenhaus gebracht; ebenso einer der Attentäter. Der andere wurde festgenommen.

Netanjahu kündigte umgehend eine Serie aggressiver Schritte in Form von Kollektivstrafen an. Alle Reisegenehmigungen für Palästinenser anlässlich des Ramadans wurden aufgehoben, was 83.000 Genehmigungen aus der Westbank und aus dem Gazastreifen für Besuche in Israel betraf. Die IDF umstellte die Stadt Yatta südlich von Hebron, aus der die Attentäter stammten, erklärte die Stadt zur geschlossenen militärischen Zone, nahm umfangreiche Verhöre vor und zerstörte die Wohnhäuser der Attentäter.

Für großes Aufsehen und große Aufregung in Israel sorgte der Bürgermeister von Tel Aviv, Ron Huldai, als er sich zu der mörderischen Attacke der palästinensischen Attentäger – für viele überraschend – im Armeesender so äußerte. „Es gibt keine Möglichkeit, eine Bevölkerung permanent unter einem Regime der Besatzung zu halten und von ihnen noch zu erwarten, dass sie das okay finden und weiter so leben möchten.“ Huldai war als Pilot der israelischen Luftwaffen an der jetzt 49 Jahre dauernden Besatzung selber aktiv beteiligt, – was seinen Äußerungen besondere Glaubwürdigkeit verschaffte.

Diese Statements waren für viele Israelis schockierend. Der Konflikt mit den Palästinensern und der ausbleibende Friedensprozess interessiere sie kaum noch, schrieb die linksliberale online-Plattform +972 in einem Kommentar. In der politischen Sphäre wage es kaum jemand, das Thema anzusprechen. Die Besatzung sei völlig aus dem öffentlichen Bewusstsein in Israel verschwunden, und die Gewalt der Palästinenser werde als „sinnlos und zufällig“ wahrgenommen.

Regierungsmitglieder reagierten in verschiedenen Statements umgehend. Deputy Defense Minister Eli Ben Dahan (Jewish Home: „Die Äußerung, dass die Terrorattacke etwas mit einem fehlenden Friedensvertrag zu tun habe, ist absurd.“ Ebenso der Minister für Wissenschaft, Technologie und Raumfahrt, Ofir Akunis (Likud): „Es ist eine Schande, Israel wegen seines mangelnden Willens, Frieden zu schließen, zu beschuldigen.“ (Times of Israel v. 9.6.2016)

Die „Frankfurter Rundschau“ (vom 11.06.2016) kommentierte die Ereignisse so: „Solchen Klartext sind die Israelis nicht gewöhnt, erst recht nicht von einem Politiker, der als langjähriges Mitglied der Arbeitspartei zum Establishment zählt. Umso mehr horchten viele auf, als der 71-jährige Huldai […] der Regierung die Leviten las. Statt über palästinensische Hassausbrüche zu jammern, solle man besser mal nach dem Warum fragen. ‚Wir‘, so Huldai, ’sind wahrscheinlich das einzige Land, in dem ein anderes Volk unter Besatzung lebt. […] Ich kenne die Verhältnisse und weiß, dass es Führern mit Mut bedarf, um zu handeln und nicht nur zu reden … Aber da ist keine Courage, zu tun, was nötig ist, damit wir ein Friedensabkommen erzielen.’“ Es hätte andere Zeiten gegeben, so die FR weiter, in denen auch andere Angehörige der Arbeiterpartei über die Beweggründe für den Terror offen gesprochen hätten. So z.B. Ehud Barak, einst Premier und später Verteidigungsminister unter Netanjahu, der offen bekannt hatte, dass, wäre er ein junger Palästinenser gewesen, er sich wahrscheinlich auch dem bewaffneten Kampf angeschlossen hätte.

Ultranationalistische Kreise hätten, so die Frankfurter Rundschau weiter, unverhohlen ihre Schadenfreude über den Anschlag im Herzen von Tel Aviv. „Ihr verdammten Linken habt es verdient“, heißt es in einer der Hass-E-Mails, die Friedensaktivisten erhalten haben.

Bayit Yehudi Bezalel Smotrich, für die Partei „Jüdisches Heim“ als Abgenordneter in der Knesset, äußerte seine Enttäuschung darüber, dass die Terroristen nicht gleich auf der Stelle erschossen worden wären. „Ich bin betroffen über die Tatsache, dass die Terroristen den Ort des Attentats lebend verlassen konnten. Ein Terrorist, der einen Juden verletzt, sollte nicht lebend davonkommen können.“ (so berichtet von der Jerusalem Post v. 9.6.2016
Sönke Hundt

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