Wenn Staatsoberhäupter aus der ganzen Welt am Freitag an der Beisetzung von Shimon Peres teilnehmen, werden sie einem der großen Staatsmänner der Welt die Ehre erweisen. Aus Deutschland werden Joachim Gauck und aus den USA Barak Obama erwartet. Shimon Peres war in der deutschen politischen und medialen Öffentlichkeit beliebt. „Genie mit einem großen Herzen.“ So Zeit-online. Und Bild: „Er war ein Ritter des Friedens und der Sicherheit, derjenige unter den Politikern, der am stärksten für den Friedensprozess stand. Dafür wurde er mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.“
Tamar Amar Dahl, die israelisch-deutsche Historikerin hat über Shimon Peres eine über 500 Seiten dicke Biographie geschrieben – und sie kommt zu einem etwas anderen Urteil über den großen israelischen Staatsmann. In einem Interview mit Zeit-online sagte sie: „Peres ist […] kein erfolgreicher Friedenspolitiker, gerade weil er Nationalist ist. Er war die ganze Zeit daran interessiert, einen Judenstaat aufzubauen und zwar in ganz Palästina – sein Ziel war Eretz Israel, das Land der Urväter. Das ist mit ein Grund, weshalb der Frieden mit den Palästinensern nicht möglich ist.“
ZEIT ONLINE: Warum wird er dann, wie ja auch in Deutschland, als Friedenspolitiker gesehen?
Amar-Dahl: Ich glaube, Peres hat dieses Image, weil er sich tatsächlich so sieht und sich auch so vermarktet. Es gibt einige Friedenszentren, die seinen Namen tragen. Er hat auch 1994 den Friedensnobelpreis bekommen und führt den Frieden stets im Mund.
ZEIT ONLINE: Aber reicht das, um dieses Image zu kreieren?
Amar-Dahl: Peres kann die harte Realität, die er mitgestaltet hat, mit blumigen Worten verkleiden. Das ist seine Gabe. Er tritt als besonnener und rationaler Staatsmann auf, als Gegenpol zu den Rechtsradikalen wie Außenminister Liebermann. Aber er hat genauso wenig wie seine Kollegen aus dem rechten Lager eine Lösung der Palästinenserfrage. Dieses Problem ist, auch für ihn, ein militärisches.
ZEIT ONLINE: Das heißt, Peres befürwortet Krieg zur Lösung politischer Probleme?
Amar-Dahl: Paradoxerweise versteht er Krieg als etwas Positives, da er für ihn der Verteidigung beziehungsweise der Sicherheit des Landes dient. Kritisiert wird dann höchstens die Umsetzung. Die Notwendigkeit des Krieges wird dadurch aber nicht in Frage gestellt. Er gilt als ein Muss. Und Krieg ist immer das gewesen, womit Israel seine Ziele erreicht hat: Land sollte nicht nur erobert und besiedelt, sondern als Besitz auch immer wieder gesichert werden. Somit ist Krieg für Peres gleichbedeutend mit unanfechtbarer Selbstverteidigung.“
ZEIT ONLINE: Was hat er dann für ein Friedensverständnis, wenn er Krieg als unausweichlich ansieht?
Amar-Dahl: Peres ist fest davon überzeugt, dass Frieden eintreten kann, wenn sich die Araber, einschließlich der Palästinenser, mit der Existenz Israel abgefunden haben. Jetzt ist die Frage: Welches Israel und in welchen Grenzen? Und vor allem: Welcher Status soll den Palästinensern im Kernland und in den besetzten Gebieten zugewiesen werden? Das sind Fragen, die die politische Führung inklusive Peres nicht offen klären wollte oder konnte. Eins wird daraus aber deutlich: Die Palästinenserfrage wird entpolitisiert.
(Das ganze Interview vom 8. Mai 2014 hier)
Tamar Amar-Dahl wurde in Israel geboren und lebt seit 1996 in Berlin. Seit 2009 ist sie Lehrbeauftragte an der Humboldt Universität in Berlin. Sie ist in Bremen keine Unbekannte: Sie nahm an der Podiumsdiskussion anlässlich der Nakba-Ausstellung in Bremen am 4. März 2015 teil und stellte am 7. Mai 2015 im Überseemuseum über ihr Buch „Das zionistische Israel. Jüdischer Nationalismus und die Geschichte des Nahost-Konflikts“ vor.
Sönke Hundt