Streit um Paprika aus Palästina

Eine internationale Bewegung fordert einen Boykott israelischer Produkte. Das ist heiß umstritten. Der Vorwurf: Antisemitismus. Längst ist ein Krieg der ldeen entbrannt, in dem um die Deutungshoheit gerungen wird

Von Elisa Rheinheimer-Chabbi

Darf man den Staat Israel boykottieren? Sollte man das sogar tun angesichts der israelischen Besatzung der Palästinensergebiete, die sich dieses Jahr zum fünfzigsten Mal jährt? In der Beantwortung dieser Frage sind die Fronten verhärtet. Zwei Lager stehen sich verfeindet gegen­über. Die Unversöhnlichkeit, mit der sie iiber den Boykott streiten, wird bereits am Vokabular deutlich: Da ist von „Kampf“ die Rede, von „Angriff“ und „Tarnung“. Längst geht es nicht mehr nur um Boykott – es geht um Gerechtigkeit und Identität, um Anstand und Moral. „Der Krieg um die Legitimitiit und die öffentliche Meinung ist nicht leichter als der auf dem Schlachtfeld“, sagt der israelische Generalmajor Eitan Dangot. Drei Buchstaben sind dabei zum Kampfbegriff geworden: BDS.

Das steht fur Boykott, Desinvestment und Sanktionen. Gegründet wurde die Bewegung vor zwölf Jahren von paästinensischen Nichtregierungsorganisationen. lnzwischen hat sie Unterstiitzer in aller Welt. Darunter sind die US-Philosophin Judith Butler, der südafrikanische Bischof Desmond Tutu, der israelische Historiker und Autor Ilan Pappe sowie die US-Journalistin Naomi Klein. Ihr Vorbild: der siidafrikanische Kampf gegen die Apartheid. Israel soll durch den zivilgesellschaftlichen Boykott zu einer anderen Politik gegenüber den Palästinensern gezwungen werden.

Fiir BDS-Befurworter ist klar: Nur wenn Palästinenser die gleichen Rechte haben wie Israelis, kann von Gerechtigkeit gesprochen werden, rückt Frieden in greifbare Nähe. Sie betonen, gewaltfrei und antirassistisch vorzugehen. Für Gegner hingegen gilt: BDS ist antisemitisch und gefährdet die Existenz Israels. Als „Front der Hasser“ bezeichnet der Zentralrat der Juden die BDS-Aktivisten und schreibt: „Die antiisraelische Boykottbewegung BDS ist ein weltweites Propagandaforum fur Feinde des jüdischen Staates.“ Die israelische Regierung hat die Boykott-Bewegung gar zur „größten Bedrohung des Landes“ erklärt.

Während einige Gruppen den Kauf sämtlicher Produkte aus Israel ablehnen, beziehen andere den Boykott nur auf solche Produkte und Dienstleistungen,die aus den von Israel besetzten Gebieten stammen, den illegalen Siedlungen also. So handhabt es beispielsweise auch die deutsche Sektion von pax christi mit ihrer Aktion „Besatzung schmeckt bitter“. Eine weitere Form des Boykotts ist jener im kulturell-akade mischen Bereich. Von den Boykott-Gegnern wird hier jedoch kein Unterschied gemacht: Für sie ähneln all diese Formen dem unheilvollen Slogan „Kauft nicht bei Juden!“ aus der deutschen Nazi-Vergangenheit. Israelis werden, so der Vorwurf, kollektiv bestraft, und das sei Antisemitismus.

Iris Hefets, Vorsitzende des Vereins jüdische Stimme für gerechten Frieden unterstützt BDS. „Israel braucht Druck von außen“, sagt sie, „sonst ändert sich nichts an der rassistischen Politik des Landes.“ BDS-Befurworter zu kriminalisieren und pauschal als Antisemiten abzustempeln, sieht die jüdische Psychoanalytikerin als Schlag gegen die Meinungsfreiheit. Damit steht sie nicht alleine da: BDS hat zahlreiche jüdische Unterstützer. „Ich bin um keinen Deut mehr ein Antisemit, als ein deutscher AfD-Gegendemonstrant ein Volksverräter ist“, schrieb der jüdische Religionsgelehrte Daniel Boyarin, nach eigenem Bekunden ein orthodoxer Jude, jüngst in der Frankfurter Rundschau.

Doch der Vorwurf des Antisemitismus schreckt besonders Deutsche ab. So ist die BDS-Bewegung in anderen Ländern, besonders in den USA und in GroBbritannien, viel präsenter als hierzulande. Pensionsfonds aus Dänemark und den Niederlanden, skandinavische Banken und US-amerikanische Kirchen haben ihre Investments abgezogen. Auch große Firmen wie Veolia haben sich aus den besetzten Gebieten zuriickgezogen.

In Deutschland zählt der frühere evangelische Pfarrer Martin Breidert zu einem der führenden Köpfen der Boykott-Bewegung. „Wenn sich die westliche Politik endlich an den Menschenrechten und am Völkerrecht orientiert, braucht es BDS nicht mehr“, erklärt er. Solange das nicht geschieht, geht der Theologe und Sozialethiker Breidert schon mal zur Galeria Kaufhof oder zum Mediamarkt, um zu kontrollieren, ob Produkte aus den besetzten Gebieten auch als solche gekennzeichnet sind. Die Kennzeichnung von Paprika aus dem besetzten Westjordanland oder Äpfeln von den annektierten Golan-Höhen ist seit Herbst 2015 laut einer EU-Richtlinie Pflicht.

In puncto Boykott hingegen herrscht keine Einigkeit innerhalb der EU. Während BDS-Aktivisten in Frankreich zu Geldstrafen verurteilt wurden, stellten die schwedische, irische und niederländische Regierung klar, class Boykottaufrufe von der Meinungsfreiheit geschützt seien. Deutschland ist gespalten; die CDU hat auf ihrem Parteitag im vergangenen Winter einem Antrag zugestimmt, in dem die Isr:ael-Boykott-Bewegung pauschal als antisemitisch bezeichnet wird.

Wie groß die wirtschaftlichen Einbußen sind, die Israel durch den Boykott erleidet, ist umstritten. Sie dürften das Land nicht sehr stark treffen, vermutet Iris Hefets, „aber symbolisch sind sie von Bedeutung“. Es geht um Israels Image in der Welt. Deshalb hat Premierminister Netanjahu der Boykott-Bewegung den Kampf angesagt. Rund 23 Millionen Euro stellt die Regierung fur eine großangelegte, weltweite Propagandaoffensive gegen BDS bereit – einige sprechen gar von über dreißig Millionen Euro. Das Ministerium for Strategische Angelegenheiten kooperiert in der BDS-Abwehr mit Einheiten des Militargeheimdienstes und des Außenministeriums.

„Zuerst war Hamas der Erzfeind, dann der Iran unter Ahmadinedschad, nun ist es BDS“, erklart Hefets, die selbst als Soldatin in der israelischen Armee gedient hat, und fügt hinzu: „die Bewegung wird als existenzielle Bedrohung dargestellt, und das berechtigt zum Kampf, weil es suggeriert, dass es um Leben und Tod geht.“

Seit März dieses Jahres dürfen ausländische BDS-Aktivisten nun nicht mehr nach Israel einreisen, und Boykott-Befürworter innerhalb Israels werden eingeschüchtert. Die israelische Regierung sowie konservative jüdische Gemeinden versuchen auch in Deutschland, die BDS-Bewegung, die in ihren Augen Israel auslöschen will, an den Rand zu drängen. Immer öfter wird Druck auf Stadträte, Bürgermeister und Kirchengemeinden ausgeübt, so dass BDS-Befürwortern Veranstaltungsräume entzogen werden. Es tobt ein Krieg um die Deutungshoheit. Im Hebräischen gibt es dafur ein Wort: Hasbara. Darunter wird eine Art öffentliche Diplomatie verstanden, PR-Arbeit auf allen Kanälen. Wörtlich übersetzt heißt es „Erklärung“; Kritiker übersetzen es mit „Manipulation“ und „Propaganda“.

Ein Tätigkeitsfeld fur Hasbara: Uni-Campusse. Um Kritik an der israelischen Politik kontern zu können, werden Studierende zu Israel-Botschaftern ausgebildet. Mal ehrenamtlich, mal bezahlt betreiben sie online und offline proisraelische Lobbyarbeit. Dazu zählt auch die Diffamierung der BDS-Kampagne. Bis zu 2000 US-Dollar jährlich erhalten Studierende, wenn sie binnen eines Studienjahres 192 Stunden israelkritische beziehungsweise je nach Lesart antisemitische Beiträge im Internet kommentieren oder melden. Das bedeutet vier Stunden Online-Lobbyarbeit in der
Woche. Die Beteiligung ist bisher allerdings bescheiden: Die National Union of Israeli Students, die entsprechende Stipendien vergibt, spricht von 13 Studierenden.

„Wir hoffen, dlass sich in Zukunft auch mehr Studenten in Europa beteiligen, um gute Nachrichten von und aus Israel zu streuen“, schreibt der Pressesprecher auf Anfrage von Publik-Forum.

Fest steht, dass die Hasbara-Kampagne ein wichtiges israelisches PR-Instrument darstellt. Der ehemalige israelische Botschafter in den USA, Michael Oren, wird in der jüdischen Internetzeitung „Der Semit“ mit den Worten zitiert, Israels Kampf gegen BDS sei „ein Krieg wie jeder andere, und im Krieg müssen wir die Samthandschuhe ausziehen und neue Kampffelder auf Campussen weltweit erringen“. Dem hat sich die Organisation Hasbara Fellowship verschrieben. Sie bezeichnet sich selbst als „führender proisraelischer Campus-Aktivisten-Verband“, der nach eigenen Angaben bisher über 3000 Studierende in strategischer Israel-Lobbyarbeit ausgebildet hat. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf den USA. Das ist kein Zufall, denn dort ist nicht nur die Boykott-Bewegung stark, sondern es distanzieren sich immer mehr junge jüdische Amerikaner von Israels Politik. Für Iris Hefets vom Verein Jüdische Stimme fur gerechten Frieden in Nahost sind solche Lobbyaktionen kontraproduktiv. „So etwas schürt stereotype Haltungen erst recht, weil der Eindruck erweckt wird, dlass alleJuden gleich denken und eine einheitliche Meinung vertreten. „Dann entsteht ‚der Jude‘. Das ist fatal“, sagt sie, „denn das Judentum lebt und pflegt die Kontroverse.“

Und so gilt im Kampf der Ideen, was der israelische Soziologe und Geschichtsprofessor Moshe Zuckermann in seinem Buch „Antisemit! Ein Vorwurf als Herrschaftsinstrument“ schreibt: „Noch nie ist der konstruierte Zusammenhang von Zionismus, Israel, Schoah, Antisemitismus und Nahostkonflikt so weidlich instrumentalisiert, perfide ausgekostet und schändlich rnissbraucht worden wie im […] 21. Jahrhundert.“

Quelle (mit freundlicher Genehmigung): Streit um Paprika aus Palastina. aus: Publik-Forum v. 07.04.2017

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