Die Taz hat am 8. Mai 2017 einen lesenswerten Gastkommentar von Avraham Burg, der von 1999 bis Anfang 2003 Präsident der Knesset und von 1995 bis 1999 Vorsitzender der Zionistischen Weltorganisation war, veröffentlicht. Da Burg aus dem inneren Kreis des israelischen politischen Establishment stammt und immer schärfer und immer eindeutiger die Politik der rechts-national-religiösen Netanyahu-Regierung kritisiert, ist sein Gastbeitrag besonders interessant.
Burg beginnt mit der Feststellung, dass die politische Linke in Israel kollabiert sei, und der Kampf gegen die Besatzung jetzt allein von den zivilgesellschaftlichen Organisationen geschultert werde. „Die Nichtregierungsorganisationen Breaking the Silence und B’Tselem“, schreibt er, „an denen sich der Streit entzündete, sind die eigentlichen Wächter über den Dreiklang von demokratischen Werten, westlicher Kultur und jüdischem Erbe. Dieser Dreiklang ist seit einigen Jahren Ziel heftiger politischer Attacken geworden. Lange vor dem Brexit und Trump, vor Le Pen, der AfD und den übrigen Populisten. Bei uns in Israel lenkt schon seit einiger Zeit Ministerpräsident Benjamin Netanjahu die politischen Geschicke. Seine Führung baut von jeher auf beständige Konfrontation, Aufwiegelung und einer Kultur des Hasses. Sie richtete sich mal gegen die Palästinenser, mal gegen Iraner, Europäer, Präsident Obama oder Demokraten jeglicher Ausprägung und Herkunft.“
Sigmar Gabriel habe nichts falsch gemacht. Er sei in Ausführung seines Amtes zu Schaden gekommen, „weil Israels Demokratie immer weniger funktioniert.“
Und: „Dieser Erosionsprozess – die Wandlung von einem jungen und bewundernswerten Land zu einem Staat am Rande der Aussätzigkeit – wird im kommenden Monat sein fünfzigjähriges Jubiläum feiern. Um das jüdische Monopol auf Privilegien zu bewahren, waren wir gezwungen, grausam und hartherzig zu werden. Über die Leiden der Palästinenser wurde wirksam ein Mantel des Schweigens geworfen, das jüdische Trauma und der Holocaust wurden eine nationale Strategie, um all dies zu rechtfertigen. Man bemühte sich ohne Ende, jedes Gemurmel von einer Alternative und jedes Aussprechen von Wahrheiten zu ersticken.“
Der Kommentar schließt sehr emotional und persönlich: „Als mein Sohn, der als Kampfsoldat in Hebron gedient hat, mir sagte, dass er einer der Zeugen für Breaking the Silence sei, drückte ich ihn fest an mich und küsste seine traurigen und verweinten Augen. Warum?, fragte ich ihn leise, und er antwortete: ‚Weil es nicht richtig ist, weil Hebron übel und die Besatzung furchtbar ist.‘ Durch seine Worte machte er mir etwas klar, das größer ist als wir beide gemeinsam. Diese wunderbaren Organisationen sind mein Israel und mein Stolz. Dies sind die Patrioten eines humanen Israel, die nach der Wahrheit streben und nicht vor ihr weglaufen. Ihr Ziel ist die Beendigung der Besatzung, sie wollen beiden Nationen und all unseren Kindern Hoffnung machen. Deshalb sage ich dafür Danke. Danke an Breaking the Silence und B’Tselem, und Danke, Sigmar Gabriel, für euer, für Ihr starkes moralisches Rückgrat. Es steht für eine gerechtere Lektion aus unserer tragischen gemeinsamen Geschichte.“