Amadeu Antionio Stiftung: Aufklärung fragwürdig

Die Amadeu-Antionio-Stiftung ist in den letzten Jahren zu einer der einflussreichsten Organisationen in der Analyse und Bekämpfung des Antisemitismus geworden. Wie sie in ihrer Broschüre „Lagebild Antisemitismus 16/17“ schreibt, hat sie seit 2003 knapp 400 Veranstaltungen in über 90 Städten organisiert, an denen sich jährlich über 170 Organisationen, Schulen, Jugendzentren und jüdische Gemeinden beteiligen. Für sie wolle die Stiftung, so heißt es in ihrer Eigendarstellung, „Öffentlichkeit schaffen und ihnen mit Rat und Tat oder auch finanzieller Unterstützung zur Seite stehen.“ In den 18 Jahren ihres Bestehens habe die Stiftung bundesweit über 1.200 lokale Initia tiven gefördert. Es wäre ihr ein wichtiges Anliegen, „die Engagierten auch weiterhin kontinuierlich zu ermutigen, Öffentlichkeit für ihre Situation zu schaffen und sie zu vernetzen.“

Manfred Jeub, Schuldekan i.R. und evangelischer Religionspädagoge in Freiburg, hat sich die in hoher Auflage verbreitete Broschüre „Lagebild Antisemitismus 16/17“ der Stiftung genau angesehen und beurteilt sie überaus kritisch. Hier seine Mail an die Amadeu-Antonio-Stiftung.

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Sehr geehrte Damen und Herren,
ich halte Ihre neue Broschüre „ Lagebild Antisemitismus 16/17“ in Händen und möchte Ihnen gern ein Feedback geben.

Zuvor ein kurzes Wort zu meinem persönlichen Hintergrund. Nach 40 Berufsjahren als evangelischer Religionspädagoge, in den letzten 15 in leitender Funktion, bin ich seit einem Jahr im Ruhestand. Die Thematik Erziehung gegen Antisemitismus und Rassismus zieht sich als roter Faden durch meine Vita als Pädagoge, Lehrerausbilder und Schulbuchautor. Auch im Ruhestand werde ich noch als Gutachter für die Zulassung von Lernmitteln an den Gymnasien Baden-Württembergs zugezogen. Aus dieser Perspektive erfolgt mein Blick auf Ihre kleine Schrift, die ja auch für den Bildungssektor gedacht ist.

Wer Ressentiments entgegentreten will, das gilt allgemein, ganz besonders aber beim schlimmsten von ihnen, dem Antisemitismus, muss das mit dem ganzen Gegenteil, mit strenger Sachlichkeit, mit stringenter Argumentation und sauber belegten Fakten tun. Leider mangelt es ihrer Publikation genau daran. „Die Diffamierung Israels stinkt zum Himmel. In gefühlt 98% aller Meinungsäußerungen in Deutschland zum »Nahostkonflikt « schwingen auf der Metaebene Dutzende antisemitische Ressentiments mit. Schwierig nachzuweisen, aber dadurch nicht weniger existent.“(S. 17) – diese Sichtweise, die Ihre Projektkoordinatorin im Schlusskommentar äußert, einem Rundumschlag gegen Medien und UN, der m. E. besser unterblieben wäre, durchzieht als eine Hermeneutik des Verdachts leider auch die anderen Abschnitte. Das hat erstens damit zu tun, dass es an einer klar explizierten, konsistenten Definition dessen fehlt, was unter Antisemitismus zu verstehen ist. Der Abschnitt, der auf S. 2 mit dem Satz beginnt „Im vorliegenden Lagebild wird keine ganz starre Antisemitismus-Definition verwendet…“, genügt diesem Grunderfordernis in keiner Weise. Was ist ein starre Antisemitismus-Definition? Eine Definition ist eine Definition und bei schwerwiegenden Vorwürfen unabdingbar. Eine zweite Problematik, die dem Anspruch im Wege steht, eine objektive Zustandsbeschreibung zu geben, ist das in Ihrer Publikation unübersehbare politische Interesse, den Staat Israel unangreifbar zu machen. Wer laufend den Terminus „israelbezogener Antisemitismus“ verwendet, muss ihn eindeutig klären und Abgrenzungskriterien zu einer nicht-antisemitischen Kritik an Israel benennen. Auch dies wird nicht geleistet, so dass der willkürlichen Unterstellung Tür und Tor geöffnet ist.

Ich habe mir die Mühe gemacht, die Belege nachzuschauen, die in Anmerkungen genannt sind und musste feststellen: Die Verweise bewegen sich in einem engen Zitationskartell Gleichgesinnter; wissenschaftlich ausgewiesene Quellen sucht man vergebens. Stattdessen finden sich Links auf proisraelische Propagandaseiten, die Russia Today in nichts nachstehen und von denen der Leser mitnimmt, dass die Europäer dumm sind, dem amerikanischen Präsidenten Trump nicht im Aufkündigen des Atomvertrags mit dem Iran zu folgen und dass Botschaften in der einen, unteilbaren Hauptstadt Israels, in Jerusalem, besser aufgehoben sind. Es tut mir herzlich leid: Seriosität kann ich dem nicht bescheinigen.

Ich will ihre Schrift nun auch nicht in Bausch und Bogen verreißen, sie transportiert auch Bedenkenswertes. Man sieht, dass Sie den aktuellen Verschiebungen im politischen Spektrum zu folgen versuchen. Keinem wachen Tagesschau-Zuschauer konnten bei den Bildern von den Pegida-Demonstrationen die Israel-Fahnen entgehen. Sie thematisieren das und deuten es als „eindeutig taktisch bestimmt“ (S.3, S.4.) Aber soll es glaubhaft sein, dass Antisemiten öffentlich Israel-Fahnen schwenken – zu ihrer Tarnung? Oder dass rechte Israelfreunde sich, so eine weitere Deutung, ein völlig falsches Bild von Israel machen? Ist es nicht erheblich plausibler, dass die Neue Rechte in Europa, die im Islam die Projektionsfläche ihres Hasses gefunden hat, sich in ihrem extremen Nationalismus dem Politiktypus der Regierung Netanjahu mit ihren unbestreitbar rechtsradikalen Mitgliedern nahe fühlt?

Es gibt, wie Sie wissen, nicht nur jüdische Einwanderung nach Israel, sondern auch jüdische Auswanderung aus Israel, weil Menschen dessen militarisiertes Klima nicht mehr ertragen. Wie sie diese pauschal zu verleumden versuchen (S.7), empfinde ich, offen gesagt, als skandalös. Es zeigt indes deutlich, wie ideologisch Ihre Darstellung geprägt ist, und es drängt sich die Frage auf, ob eine Position, die – mit dem Maßstab der Loyalität zum Netanjahu-Israel messend – zwischen guten und bösen Juden unterscheidet, zu einer angemessenen Antisemitismus-Analyse imstande ist.

Wer gegen Diskriminierung von Menschen antritt, sollte nicht selbst diskriminieren. Wer Verschwörungstheorien entlarven will, sollte nicht selber solche verbreiten. Der Abschnitt über die BDS-Kampagne macht leider diesen Eindruck: Finstere Mächte, die ihre wahre Absicht, nämlich die „Abschaffung von Israel“ (S. 13) raffiniert verschleiern, manipulieren ahnungslose Menschen. Dies steht in Ihrer Broschüre zu lesen. Die US-amerikanische Partnerkirche meiner evangelischen Kirche in Baden, die United Church of Christ, die sich nach eingehenden Diskussionen mit überwältigender synodaler Mehrheit der Boykottaktion anschloss, wäre demnach Antisemiten auf den Leim gegangen. Ich halte es in der Tat für diskussionswürdig, ob man in einem Land, in dem jüdische Mitbürger mit der NS-Aktion „Kauft nicht bei Juden!“ schikaniert wurden, zum Boykott des Staates Israel wegen seiner andauernden Menschenrechtsverletzungen an den Palästinensern aufrufen sollte – aber eine solche Diskussion darf es nach Ihren Handlungsempfehlungen nicht geben. Hier wird m. E. ein Grundproblem der von Ihnen vertretenen Position deutlich: Sie setzt statt auf die Kraft des Arguments im offenen Diskurs auf repressive Methoden. Ich halte das für einen kontraproduktiven Irrweg.

Für mich, meine sehr geehrten Damen und Herren, sind zwei Dinge nicht relativierbar: Der Holocaust und die Universalität der Menschenrechte. Und zwar gehören sie nach meiner Einsicht untrennbar zusammen. Vor gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, vor rassistischem Ressentiment schützt nur die Verinnerlichung der unbedingt zu achtenden Menschenwürde und der daraus resultierenden Menschenrechte. Den Bezug darauf habe ich in Ihrer Schrift vermisst. Vielmehr kommen Menschenrechte nur im negativen Kontext eines Vorwandes für Antisemitismus vor (S. 12, 13), und in der abschließenden Polemik von Frau Hermer wird es als pervers bezeichnet, dass die Vereinten Nationen mehr Anklagen wegen Menschenrechtsverstößen gegen Israel erheben als gegen dessen Erzfeind Iran (S.17). Wer den universalen Menschenrechten verpflichtet und nicht bereit ist, zwischen guten und bösen Menschenrechtsverletzern zu unterscheiden, fragt nicht nach solchen Vergleichen, sondern danach, ob die Vorwürfe zutreffen oder nicht. Darüber halte ich mich als 40jähriges Mitglied von amnesty international informiert und registriere aufmerksam, wer Menschenrechtsorganisationen zu delegitimieren und zu behindern versucht.

Mein Fazit: Ihre Broschüre „ Lagebild Antisemitismus 16/17“ informiert zweifellos über aktuelle Entwicklungen in Deutschland. Einäugige Parteinahme für die Politik Israels lässt die Autoren aber über dieses Ziel hinausschießen. Begründete Kritik an Menschen- und Völkerrechtsverletzungen dieses Staates wird in die Nähe rassistischer Judenfeindschaft gerückt oder gar damit gleichgesetzt. Der Antisemitismus-Begriff wird aufgeweicht. Methodisch ist diese Publikation ungenügend. Ein inflationärer, oft rein assoziativer und unterstellender Umgang mit dem Begriff Antisemitismus erweist der Sensibilisierung gegen diese Gefahr aber einen Bärendienst. Vor allem, weil es nicht nur informiert, sondern indoktriniert, nicht zu Einsichten, sondern zu ideologischen Bekenntnissen führen will, ist das Material für schulisches Lernen nach meiner Expertise ungeeignet.

In der Hoffnung, dass Sie mit meinen Bedenken etwas anfangen können und sie nicht als „gefühlt“ antisemitisch abtun, grüße ich Sie freundlich
M. Jeub

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