Wem gehört Jerusalem? Protestkundgebung gegen den Trump-Jerusalem-Beschluss auf dem Bremer Marktplatz

Der Ausschuss der palästinensischen Gemeinde in Bremen hatte am 13. Januar 2018 – bei klirrender Kälte – zu einer Kundgebung gegen den Beschluss der Trump-Regierung, Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen und die amerikanische Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem zu verlegen, aufgerufen. Ungefähr 400 Teilnehmer waren mit vielen Transparenten und palästinensischen Fahnen gekommen.

Mohammed Dabour, der erste Redner, hatte die Kundgebung beim Ordnungsamt Bremen angemeldet. Er erhielt als Antwort ein 7-seitiges Schreiben, versehen mit massiven und sehr detaillierten Auflagen (gemäß § 18 des Versammlungsgesetzes), für deren Einhaltung er als Versammlungsleiter verantwortlich gemacht wurde. Mit welchem Misstrauen seitens der Genehmigungsbehörde reagiert wird, wenn die Palästinenser von ihrem Grundrecht auf eine öffentliche Demonstration Gebrauch machen wollen, zeigen die Auflagen, in denen es u.a. heißt:

  • Es müssen 40 Ordner, erkenntlich mit Armbinden, gestellt werden.
  • Es dürfen 15 – 20 Transparente gezeigt werden.
  • Äußerungen in Wort, Schrift oder Bild, die antisemitisch sind oder dem Staat Israel das Existenzrecht absprechen, sind untersagt.
  • Gleiches gilt für die Vereinigten Staaten von Amerika.
  • Fremdsprachige Transparente, Flyer und Redebeiträge sind auf Verlangen der Polizei zur Prüfung auf etwaige strafrechtliche Inhalte zur Verfügung zu stellen.
  • Es wird untersagt, während der Dauer Fahnen, Puppen oder ähnliche Gegenstände im öffentlichen Verkehrsraum zu verbrennen.
  • Die Auflagen sind den Versammlungsteilnehmern – nötigenfalls auch wiederholt und mehrsprachig (deutsch und arabisch) – bekanntzugeben.

Die Ordnungsbehörde formuliert ihr Misstrauem ohne Beschönigung: „In der Gesamtschau der Umstände muss (…) mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass die Versammlungsteilnehmer die geplante Versammlung dazu nutzen möchten, antiisraelisches und antiamerikanisches Gedankengut zu verbreiten.“ Die Auflagen wurden von der Versammlungsleitung peinlich genau verfolgt und der Versammlung entsprechend mitgeteilt.

Saleh el-Sarey von der Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft und der Palästinensischen Gemeinde ergriff als nächster das Wort und wandte sich auf arabisch an die Versammlung. Jerusalem sei seit Jahrhunderten eine arabisch-islamische, christliche und jüdische Stadt mit einer ehrwürdigen Geschichte und Kultur gewesen. „Jerusalem ist die Stadt des Friedens, oder sie sollte es wenigstens sein. So haben es Jesus Christus, der hier gekreuzigt und begraben ist, und unser Prophet Mohammed gewollt. Jerusalem muss immer offen bleiben, offen für alle Religionen. Es darf nicht länger von Israel besetzt werden.“

Der amerikanische Präsident Donald Trump habe verschenkt, was ihm nicht gehörte, an jemanden, der es nicht verdiente. Er habe mit dieser Erklärung gegen sämtliche Beschlüsse der UNO verstoßen und sich gegen die Weltmeinung gewandt. Das sei ein sehr gefährlicher Schritt, den noch kein Präsident vor ihm gewagt habe. „Wir werden“, so Saleh el-Sarey, „niemals akzeptieren, dass Jerusalem die Hauptstadt von Israel wird.“ Der Redner sprach auch den von Trump in seiner Erklärung am 6. Dezember 2017 mit unklaren Formulierungen beschriebenen „Jahrhundertdeal“ für den Nahen Osten mit Saudi-Arabien und Ägypten an. Am Schluss seiner kurzen Rede forderte er die Rücknahme des höchst umstrittenen Beschlusses, so wie es die UNO-Vollversammlung mit großer Mehrheit, auch mit Unterstützung von Deutschland, Frankreich und den anderen EU-Staaten, bekräftigt hat.

Rudolph Bauer, emeritierter Professor für Politikwissenschaft an der Universität Bremen und Schriftsteller, sprach zum Schluss der Kundgebung. Es wurde eine eindringliche Rede; sie kann hier nachgelesen werden. Unberührt von der in den Medien um sich greifenden Ängstlichkeit gegenüber dem Thema Palästina und Israel kam er im direkten Zugriff auf die großen Streitfragen in dieser Region zu sprechen: Geschichte der Stadt Jerusalem, Gründungsgeschichte des israelischen Staates, Vertreibung der Palästinenser und Palästinenserinnen und Zerstörung ihrer Dörfer (Naka), die vielen Friedensvorschläge seitens der palästinensischen Organisationen und der arabischen Staaten sowie die andauernde Besetzungs- und Besiedlungspolitik seitens der verschiedenen israelischen Regierungen.

Rudolph Bauer wurde bei seinem „Griff in die Geschichte“ grundsätzlicher. Die Konzepte des „Nationalstaates“, der immer eine „Hauptstadt“ haben müsse, seien heute ein Anachronismus, seien in unserem digitalen Zeitalter unzeitgemäß, überflüssig und überhaupt ein Fehler.

Sodann unternahm Bauer einen historischen Vergleich, den man so noch nicht gehört hatte. Er verglich nämlich die Staatsgründung des deutschen Kaiserreichs 1871 mit der Staatsgründung Israels im Jahre 1948. Wie die ehemals deutsche, die „verspätete“ Nation, würde auch Israel nach seiner Gründung vergleichbare Merkmale aufweisen: Expansionismus, Militarismus, Autoritarismus und Kolonialismus.

Dabei hätten die Juden doch eigentlich, so Bauer, ein Vorbild und ein Beispiel für eine kosmopolitische Lebensweise sein können, hatten sie doch viele Jahrhunderte lang, gerade auch in den islamischen Staaten, im Frieden und im Einvernehmen mit anderen Völkern und anderen Religionen als Weltbürger gelebt. So hätten sie sich einerseits in fremden Gesellschaften zurecht gefunden und andererseits ihre eigene Kultur bewahrt. „Sie sind ein Vorbild und Beispiel für Immigranten und Flüchtlinge. Wobei ich nicht vergesse, dass Juden in manchen Ländern immer wieder verfolgt wurden. Genauso wie Immigranten und Flüchtlinge heute.“

Zur Rechtfertigung der Staatsgründung und der Politik gegenüber den Palästinensern würden immer noch die KZ- und Tötungsmaschinen in Nazi-Deutschland, die zweifellos den Tiefstpunkt der auf rassistischen Vorurteilen beruhenden Politik im deutschen Reich, dem sogenannten Dritten Reich darstellten, herangezogen. Weswegen die Ächtung des Antisemitismus nach 1945 ebenso notwendig wie selbstverständlich war. „Und heute?“, fragte Bauer. Heute sei der Antisemismusbegriff in einem Umfang ausgeweitet worden, dass auch noch eine Kritik an der Besatzungs- und Kolonialpolitik Israels darunter fiele.

Am Schluss seiner mit viel Beifall aufgenommenen Rede zitierte Rudolph Bauer aus einem Gedicht („In Jerusalem“) des palästinensischen Poeten Mahmud Darwisch. Wenn die Völkergemeinschaft einem wirklichen Frieden in Nahost einige Schritte näher kommen wolle, wären einige Forderungen zu berücksichtigen, die Bauer sowohl an die Bundesregierung als auch an die Bremer Bürgerschaft, die Jüdische Gemeinde in Bremen, an die Palästinenser und insgesamt an die Zivilgesellschaft richtete. Man kann sich die Rede auf dem youtube-Video – etwas gekürzt – ansehen und auch das Manuskript nachlesen. Es lohnt sich!
Sönke Hundt

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Ein Gedanke zu „Wem gehört Jerusalem? Protestkundgebung gegen den Trump-Jerusalem-Beschluss auf dem Bremer Marktplatz

  1. „Die israelische Nationen-Bildung erfolgte 1948 zu einem Zeitpunkt, als des Konzept der Nation längst fragwürdig geworden ist durch seine nationalistische Überhöhung in Nazi-Deutschland.“ O-Ton Rudolph Bauer.

    Der Nationalsozialismus ist demnach der Beleg, dass ein jüdischer Staat fragwürdig und überflüssig ist. Darauf muss man erst mal kommen.

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