Tribunal gegen Verleumder

von Stefan Huth (übernommen mit freundlicher Genehmigung aus der jungen Welt v. 12.02.2018)

Wegen befürchteter Provokationen fanden die Vorbereitungen unter gleichsam klandestinen Bedingungen statt, wurde der Veranstaltungsort erst wenige Tage vor Beginn bekanntgegeben. Dennoch war die nach einem Gedicht von Erich Fried »Zur Zeit der Verleumder« übertitelte Konferenz,die am Samstag mit rund 230 Teilnehmerinnen und Teilnehmern im »Tiyatrom«, einem türkischen Schauspielhaus in Berlin-Kreuzberg, stattfand (siehe jW vom 7.2.), bereits seit etlichen Wochen »überbucht«. Die Journalistin Susann Witt-Stahl, die die Tagung im Namen des Veranstalters Projekt Kritische Aufklärung (PKA) eröffnete, wies darauf hin, dass mehr als die doppelte Menge an Karten hätte verkauft werden können. Am Einlass herrschte Geschiebe und Gedränge, viele Interessierte mussten abgewiesen werden. Keine Frage also: Das Bedürfnis, sich mit dem Konferenzthema »Instrumentalisierung von Juden, Judentum und der jüdischen Katastrophe«, der Shoah, auseinanderzusetzen, ist groß.

Unmittelbaren Anstoß für die Veranstaltung gab ein Vorfall im ­Juni vergangenen Jahres: Im Rahmen »antideutscher« Proteste gegen eine Konferenz des Koordinationskreises Palästina-Israel (Kopi) in Frankfurt am Main war vor allem ein Referent, der in Tel Aviv lehrende Historiker und Soziologe Moshe Zuckermann, zum Ziel heftiger Attacken geworden (jW berichtete). Jutta Ditfurth verstieg sich im Rahmen dieser Auseinandersetzung sogar zu der Aussage, der als Kind von Holocaustüberlebenden in Israel geborene Zuckermann habe »sich den antizionistischen Antisemit*innen angeschlossen«. Gemeinsam mit CDU-Bürgermeister Peter Becker und Aktivisten aus dem antinationalen Spektrum machte die Publizistin und Kommunalpolitikerin gegen die Kopi-Veranstaltung mobil – ein, wie die PKA-Konferenz zeigte, charakteristischer Fall von Bündnispolitik, wenn es gegen israelkritische Juden geht. Witt-Stahl, die Zuckermann als »Ehrengast und Hauptredner« begrüßte, unterstrich, dass »wir in einer Hochzeit der Verleumder« lebten, Zeugen eines »Triumphmarschs der Quälgeister durch die deutschen Institutionen« seien. Angriffe deutscher Staatsbürger gegen unliebsame Juden seien »gefährlich an der Grenze zur Schuldumkehr« und dienten vor allem einem politischen Zweck: der Legitimierung der neoliberalen Offensive und mit ihr einhergehender imperialistischer Kriege. Die PKA-Konferenz stehe für eine »notwendige Intervention« auf marxistischer Basis: »Es ist höchste Zeit anzugreifen.«

In seinem Vortrag stellte Moshe ­Zuckermann die »Grundfrage« im Nahostkonflikt, die nach den Machtverhältnissen. Wenn keine Klarheit darüber bestehe, wer hier »Herr, wer Knecht« sei, könnten auch keine ideologischen Kämpfe geführt werden. Im Kern gehe es um einen Territorialkonflikt, der Israel in eine Sackgasse geführt habe. Durch den fortgesetzten Landraub in den besetzten Gebieten seien alle Optionen auf eine Zweistaatenlösung »radikal verbaut«. Jeder ernsthafte Versuch der Regierung, das Siedlerkollektiv zurückzudrängen, würde unweigerlich in einen Bürgerkrieg münden. Zugleich entwickle sich unter den Bedingungen der Besatzung faktisch ein Apartheidregime mit Zügen eines »Alltagsfaschismus«, der auf eine systematische Entrechtung nicht nur der Palästinenser hinauslaufe, wie die geplante Massenabschiebung afrikanischer Flüchtlinge zeige. Zuckermanns bitteres Fazit der politischen Entwicklung seit der Staatsgründung 1948: »In keinem Land ist jüdische Kollektivität derart bedroht wie in Israel.« Der Zionismus habe den Frieden nie gewollt, letztlich nicht einmal daran geglaubt, dass »er historisch nachhaltig« sei. Mit Blick auf das Thema Antisemitismus erkennt Zuckermann eine »Obsession« der Antideutschen, ein »Ressentiment«, das sich nun an den Palästinensern und den islamischen Fremden als Ersatzobjekten austobe. So gesehen liege es nahe, dass sich Antideutsche mit Akteuren der äußersten Rechten verbünden, nicht unähnlich dem Mossad-Veteranen Rafi Eitan, der jüngst lobende Worte für die AfD fand.

Der aus Chicago per Skype zugeschaltete Herausgeber des Onlinemagazins Electronic Intifada Ali Abunimah wies bezüglich der gegenwärtigen US-Regierung auf eine ähnliche, auf den ersten Blick paradox scheinende Verbindung hin: Sie sei die am offensten antisemitische und zugleich prozionistischste Administration in der jüngeren Geschichte. Vor dem Hintergrund der Antisemitismusresolution des Bundestags problematisierte Abunimah die Identifikation Israels mit »den Juden« und wies auf das zweifelhafte Rechtsverständnis hin, das ihr zugrunde liege und das darauf hinauslaufe, universell geltende Rechte zu suspendieren, wenn es um völkerrechtswidrige Maßnahmen Israels gehe. Er sprach sich für die BDS-Kampagne (Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen) gegen Israel aus, die auf ethischen Prinzipien basiere und nicht ethnisch-religiös ausgerichtet sei. Die Kritik daran wies Abunimah mit Hinweis auf die ansonsten kaum vorhandenen Widerstandsmöglichkeiten der Palästinenser zurück: Bewaffneter Widerstand sei ihnen ohnehin verboten, politische Verhandlungen hätten sich über die Jahrzehnte als sinn- und ergebnislos erwiesen – ständig werde ihnen vorgehalten: »Ihr habt kein Recht auf Widerstand, nicht einmal auf gewaltfreien. Ergebt euch einfach.«

Der aus Israel angereiste Soziologe und politische Aktivist Avishai Ehrlich, Mitgründer der sozialistischen Organisation Mazpen, wies auf die wachsende Bedeutung der Evangelikalen hin, der »weltweit am schnellsten wachsenden religiösen Bewegung«. Deren Angehörige hätten engste Verbindungen zur Trump-Regierung (auch Vizepräsident Mike Pence zählt sich dieser Richtung zu). Sie sähen in den Juden »Kinder Gottes«, die als einzige die Apokalypse überlebten. Evangelikale pilgerten jährlich zu Hunderttausenden nach Jerusalem und erwiesen sich als loyalste Unterstützer der israelischen Regierung. Ihr Einfluss sei inzwischen größer als der der proisraelischen Lobbyorganisation AIPAC. Auch Ehrlich beleuchtete Kontakte der israelischen Regierung zu europäischen Rechtsaußenpolitikern wie Heinz-Christian Strache oder Geert Wilders, die diesen letztlich Legitimität verschafften und sie salonfähig machten: »Israel verkauft Ablässe wie früher die Kirche.«

Rolf Becker, Schauspieler und Verdi-Mitglied, beklagte, dass der Nahostkonflikt im gewerkschaftlichen Bereich kaum eine Rolle spiele. Er erklärte das u. a. mit der traditionellen Bindung der Gewerkschaftsführung an die SPD, die mit einer Unterwerfung unter die Staatsräson einhergehe. ­Becker unterstrich, dass Israel nicht von der allgemeinen Gesetzgebung ausgenommen werden dürfe, wie es etwa die derzeitige israelische Justizministerin postuliere. Becker zitierte Ken Loach und dessen Credo: »Entweder stehst du auf der Seite der Unterdrückten oder der der Unterdrücker.« Der britische Filmemacher wandte sich mit einer eigenen Grußadresse an die Konferenzteilnehmer. Darin heißt es: »Unsere Forderung muss sein, dass Israel für seinen Bruch des Völkerrechts und der Genfer Konvention zur Verantwortung gezogen wird. Und wir müssen auf dem unveräußerlichen Recht der Palästinenser bestehen, in ihrem eigenen Land in Frieden und Sicherheit zu leben.«

Einen Videomitschnitt dieser überaus ertragreichen, rund zwölfstündigen Veranstaltung mit zahlreichen weiteren Beiträgen wollen die Organisatoren demnächst verfügbar machen. Die Tagung endete mit einer Diskussion über Möglichkeiten der Opposition »wider den Zeitgeist der Verleumder«. Die Debatte darüber, was da konkret zu tun sei, hat mit dieser »ideologiekritischen Intervention«, wie es im Untertitel heißt, zweifellos neue Konturen gewonnen.

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