In einer gemeinsamen Erklärung haben heute die Regierungen Deutschlands, Frankreichs, Spaniens und des Vereinigten Königreichs den durch Israel derzeit vorgenommenen Abriss palästinensischer Häuser im zu Sur Baher gehörenden Bezirk Wadi al Hummus im Südosten Jerusalems scharf verurteilt. (Auf Palästina Nachrichten mit weiteren Fotos und Videos)
Der Abriss von Gebäuden in besetzten Gebieten verstoße gegen das humanitäre Völkerrecht und Resolutionen des UNO Sicherheitsrats, so die vier Regierungen, und stelle einen „gefährlichen Präzendenfall dar“ der die Zwei-Staaten-Lösung unmittelbar gefährde. Bereits gestern hatte die EU gegen den Abriss in Sur Baher protestiert, nachdem internationale Appelle in der Woche zuvor ungehört verhallt waren. Auch die UNO verurteilte am Montag das völkerrechtswidrige Vorgehen Israels und sprach von einem „Trauma“ und einer Verletzung von Menschenrechten jener Palästinenser, die durch Israels Vorgehen jetzt in die Obdachlosigkeit gezwungen wurden.
Israelische Sicherheitskräfte waren am Montag in den frühen Morgenstunden zwischen zwei und vier Uhr in Sur Baher im Südosten Jerusalems eingefallen, und hatten mehr als ein Dutzend Bewohner von Häusern nahe der Sperranlage aus den Betten geholt. Die Palästinenser mussten binnen kurzer Zeit ihre Häuser verlassen, dann rückten Bagger und schweres Gerät an und israelische Arbeiter begann unter dem Schutz Hunderter israelischer Soldaten und Polizisten mit dem Abriss der von Palästinensern gebauten Häuser. Zu diesem Zweck wurde an verschiedenen Häusern auch Sprengstoff montiert und später zur Detonation gebracht.
Nach Angaben der UNO handelt es sich um 13 Wohnhäuser mit 70 Wohnungen, die zerstört werden, wobei mindestens 17 Palästinenser unmittelbar durch die Aktion obdachlos wurden. Für andere, deren Wohnungen noch im Bau sind, bedeutet der Abriss die zukünftige Obdachlosigkeit und den Verlust aller Bauinvestitionen, für die oft lange gespart wurde. Insgesamt sind rund 350 Palästinenser von der völkerrechtswidrigen Abrissaktion durch Israel betroffen.
Videoaufnahmen, die auf Sozialen Medien verbreitet wurden, zeigen, wie israelische Grenzpolizisten in Häuser eindringen und die Bewohner mitten in der Nacht herauszerren. Dabei wird auch vor alten Menschen und Kindern nicht Halt gemacht.
Als eine Gruppe Jugendlicher versucht, die Wohnungstür gegen die anstürmenden Israelis mit bloßen Händen zu blockieren, werfen israelische Soldaten ohne Rücksicht auf Verletzungen Blendgranaten durch den Türspalt direkt in die Gruppe.
Videoaufnahmen zeigen überdies, wie im Laufe des Tages israelische Soldaten und Grenzpolizisten jubeln und Selfies machen, als im Hintergrund palästinensische Häuser in die Luft gesprengt werden.
Israelisches Oberstes Gericht genehmigte die Abrissaktion
Vorangegangen war der Aktion ein langer Rechtsstreit, in dem Israel bis vor dem höchsten Gericht die Position vertrat, dass die in Frage stehenden Häuser, die offiziell von der eigentlich zuständigen Palästinensischen Autonomiebehörde genehmigt waren, zu nah an der von Israel errichteten Sperranlage gebaut wurden, und damit für Israel eine potentielle Gefahr darstellten. Dies ungeachtet der Tatsache, dass der Internationale Gerichtshof den Bau der israelischen Sperranlage 2004 für völkerrechtswidrig erklärt hatte. Entgegen aller Proteste hatte Israel seinerzeit die Sperranlage durch Sur Baher gebaut, und damit die Bewohner auf beiden Seiten der Barriere getrennt. Der Großteil der vom Abriss betroffenen Gebäude befindet sich in den im Friedensvertrag von Oslo ausgewiesenen Regionen A und B, für die die Palästinensische Autonomiebehörde verantwortlich ist. Gleichwohl akzeptiert Israel nun die dort gebauten Häuser nicht und hat beim Obersten Gericht die Abrissgenehmigung durchgesetzt. Dabei war das Gericht der Argumentation gefolgt, dass die militärischen Interessen Israels Vorrang hätten vor den Wohn- und Eigentumsinteressen der palästinensischen Bewohner.
UNO appellierte erfolglos an Israel, Häuser nicht zu zerstören
Unter Hinweis auf geltendes Völkerrecht hatte die UN deshalb bereits vor einer Woche dringend an Israel appelliert, von den geplanten Zerstörungen der palästinensischen Häuser in Sur Baher abzusehen und den Verpflichtungen als Besatzungsmacht nachzukommen. Drei führende UN-Offizielle, Jamie McGoldrick (Koordinator für Menschenrechte), Gwyn Lewsi (Direktor der UNRWA-Arbeit in der Westbank) und James Heenan (Chef von OHCHR in den besetzten palästinensischen Gebieten) verwiesen in einer gemeinsamen Stellungnahme vor allem darauf, dass neun der nun vertriebenen Palästinenser, darunter ein älteres Paar mit fünf Kindern, Flüchtlinge seien. Vor allem für sie sei die neuerliche Vertreibung „besonders traumatisch“ und habe langfristige Folgen. Die UN-Direktoren forderten Israel auf, faire Planungsstrategien umzusetzen, die es den palästinensischen Bewohnern der Westbank, einschließlich Ost-Jerusalems, ermöglichen, ihre Wohn- und Entwicklungsbedürfnisse zu decken.
Wie immer in der Vergangenheit, blieb der Appell der UN auch diesmal ohne Erfolg. Ungeachtet der internationalen Kritik begann Israel in den frühen Morgenstunden des Montags wie geplant mit der Zerstörung der in Frage stehenden palästinensischen Häuser. Dabei missachtete Israel auch die ebenfalls erfolgten Aufrufe aus der EU, von der Vertreibung der palästinensischen Bewohner und dem Abriss ihrer Häuser abzusehen.
Proteste aus der EU
Entsprechend verärgert reagierte man am Montag in Brüssel. Die Sprecherin des Auswärtigen Dienstes der EU, Maja Kocijancic, erklärte den Abriss und die Beschlagnahmung der palästinensischen Häuser sowie die Zwangsumsiedelung und Vertreibung für „nach internationalem Recht illegal“. Die meisten betroffenen Gebäude befänden sich in der Westbank, „wo nach den Oslo-Abkommen alle zivilen Angelegenheiten unter die Jurisdiktion der palästinensischen Behörde fallen“. Kocijancic warnte, die Fortsetzung dieser Politik Israels untergrabe die Aussichten auf eine Zweistaatenlösung sowie die Chance auf einen dauerhaften Frieden. „In Übereinstimmung mit der von der EU seit langem gehaltenen Position“, so Kocijancic weiter, „erwarten wir, dass die israelischen Behörden die fortdauernden Zerstörungen unverzüglich beenden.“
Auch die Regierung Irlands hatte am Montag den Abriss der palästinensischen Häuser in den Zonen A und B kritisiert. Der irische Außenminister und stellvertretende Ministerpräsident, Simon Coveney, verurteilte die Aktion „auf das Schärfste“. Einmal mehr, so der irische Minister, müsse man mit ansehen, wie Israel „Menschen einer Bevölkerungsgruppe vertreibt, die eigentlich unter Israels Schutz stehen sollten“. Auch Irland fände es „besonders besorgniserregend“, dass die meisten der zerstörten Häuser in den Gebieten A und B liegen, in denen selbst nach israelischer Sicht die Palästinensische Autonomiebhörde für die Baugenehmigungen zuständig sei.
Deutschland, Frankreich, Spanien und England verurteilen den Abriss
Nachdem es in den großen Hauptstädten Europas zunächst am Montag keine offizielle Reaktion auf das Vorgehen Israels gab, meldeten sich am Dienstag nun in einer gemeinsamen Erklärung die Regierungen von Deutschland, Frankreich, Spanien und England zu Wort. Offenbar wollte man mit dem gemeinsamen Auftreten ein besonders starkes Signal an die Regierung von Benjamin Netanyahu senden, dass die völkerrechtswidrige Zerstörung der palästinensischen Häuser in den Gebieten A und B nicht hinnehmbar sei.
Am Dienstagnachmittag veröffentlichte das Auswärtige Amt den Wortlaut der Erklärung:
„Deutschland, Frankreich, Spanien und das Vereinigte Königreich verurteilen den Abriss palästinensischer Gebäude durch Israel im Bezirk Wadi al Hummus im Südosten von Jerusalem scharf.
Wir sind nach wie vor tief besorgt über die fortdauernden Abrisse palästinensischer Gebäude durch israelische Behörden. Der Abriss von Gebäuden in besetzten Gebieten verstößt – außer in seltensten Ausnahmefällen – gegen das humanitäre Völkerrecht und Resolutionen des VN Sicherheitsrats. Ein solches Vorgehen verursacht unnötiges Leid für palästinensische Zivilisten und schadet dem Friedensprozess.
In diesem spezifischen Fall waren die Abrisse besonders schwerwiegend, da sich einige der Gebäude in A- und B-Gebieten befanden, die nach den Oslo-Abkommen der Hoheitsgewalt der Palästinensischen Behörde unterstehen. Daher handelt es sich um einen Verstoß gegen diese Abkommen. Die Abrisse stellen einen gefährlichen Präzedenzfall dar, der die Zwei-Staaten-Lösung unmittelbar gefährdet.“
Dass die Proteste der UNO und der EU jedoch Israel zum Einhalten bewegen können, erscheint fraglich, zumal die Zerstörung der palästinensischen Häuser bereits zum großen Teil erfolgte und insofern nicht mehr rückgängig zu machen ist. Da Israel erfahrungsgemäß keine Kompensation für die Beschlagnahme und den Abriss zahlen wird, sind 350 Palästinenser durch diese völkerrechtswidrige Aktion zur Obdachlosigkeit verdammt und haben obendrein alles verloren, was sie sich über viele Jahre vom Mund abgespart hatten, um für sich und ihre Kinder einen – im übrigen offiziell genehmigten – Raum zum Leben zu schaffen. Der Palästinensische Ministerpräsident Mohammed Shtayyeh sprach von der „Verletzung humanitären Völkerrechts“ und warf Israel vor, bezüglich der Gebiete A und B „Fakten schaffen“ zu wollen. Das palästinensische Außenministerium fordert deshalb jetzt eine Untersuchung der Zerstörungen durch den internationalen Strafgerichtshof in Den Haag.