Bibi gegen den Rechtsstaat

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Warum ein Wahlsieg Benjamin Netahjahus das Ende der Gewaltenteilung in Israel bedeuten könnte.
Von Richard C. Schneider
(Richard C. Schneider ist Editor-at-Large bei der ARD, Publizist, Buchautor und Dozent an verschiedenen Hochschulen.)

Was, wenn er gewinnt? Anders als bei den letzten Wahlen, hat Israels Premier Benjamin Netanjahu den Sieg noch nicht in der Tasche. Doch der ruchlose, trickreiche und passionierte Wahlkämpfer, der inzwischen nicht einmal mehr vor den schmutzigsten Tricks („Fake News“) zurückschreckt, wird bis zum Wahltag am 17. September buchstäblich um sein Leben kämpfen. Denn genau darum geht es für ihn: Ihm droht eine Anklage in drei Fällen wegen Korruption. Sollte er verurteilt werden, warten auf ihn mehrere Jahre Gefängnis. Bereits im Oktober, also gerade mal drei Wochen nach der Wahl, muss der Noch-Premier zu einem Hearing, danach wird der Generalstaatsanwalt die Anklage erheben, spätestens wohl im Dezember.

Doch dazu soll es nicht kommen, wenn es nach Netanjahu geht. Er muss mindestens 61 Mandate haben, um regieren zu können (die Knesset, das israelische Parlament, verfügt über 120 Sitze). Die Oppositionsparteien und auch die rechte Partei von Avigdor Lieberman, Yisrael Beiteinu („Israel, unser Haus“) wollen sich für die Machenschaften Netanjahus nicht einspannen lassen. Also muss Netanjahu darauf hoffen, mit seinem Likud möglichst viele Sitze zu gewinnen, um dann in einer Koalition mit Ultraorthodoxen und messianischen Nationalisten das „Gesetz der Gesetze“ in kürzester Zeit durchpeitschen zu können: ein Gesetz, das ihm Immunität gewährt und obendrein das Einspruchsrecht des Obersten Gerichts außer Kraft setzt.

Sollte ihm das gelingen, dann hat die „einzige Demokratie des Nahen Ostens“, wie ausgerechnet Netanjahu nie müde wird zu prahlen, aufgehört in ihrer jetzigen Form zu existieren. Der Rechtsstaat wäre Geschichte in dem Augenblick, in dem das Oberste Gericht seine Unabhängigkeit verlöre.

Tatsächlich sieht es so aus, als ob Netanjahu das Land für sein Eigenwohl unter die Räder zu werfen bereit ist. (…)

Was das langfristig für Israel bedeutet, ist noch nicht abzusehen. So wie in Ungarn, in Polen, in Italien, Österreich und anderen europäischen Staaten der öffentliche Diskurs durch die Anti-Demokraten vergiftet wird – und natürlich in den USA –, so wie die AfD in den deutschen Bundesländern und längst auch im Bundestag den Ton der politischen Auseinandersetzung verändert, ihn schärfer, bösartiger, brutaler gemacht hat, so machen das auch Netanjahu und die Seinen.

Und selbst wenn Netanjahu die Wahlen verlieren sollte und damit endgültig die politische Bühne Israels verlassen müsste, sein Erbe wird auf Jahre hinaus wirken. Politiker wie Ayelet Shaked, die ehemalige Justizministerin, oder Naftali Bennett, der ehemalige Erziehungsminister, aber auch so mancher Likud-Politiker, werden den „Bibi-Sprech“ übernehmen oder tun das längst. Der Vater des Hasses wäre zwar weg, aber seine Kinder erfreuen sich bester Gesundheit und verbreiten sich. (…)

In diesen Tagen hört man in Israel immer wieder zwei Szenarien: „Wir werden dann das Land verlassen“ oder „Dann werden wir losziehen, um unsere Demokratie, den Rechtsstaat zurückzuerobern“. Israel könnte extrem schwierigen Zeiten entgegengehen. Doch wer glaubt, es könnte dann Bürgerkrieg geben, liegt falsch: Netanjahu hat es bei innenpolitischen Krisen noch immer geschafft, die Bedrohung von außen so hochzuspielen, dass alles in Reih und Glied fällt. Denn wenn es um das Überleben des jüdischen Staates geht, dann, aber nur noch dann, stehen alle Israelis wie ein Mann zusammen.

Quelle: IPG-Journal (Friedrich-Ebert-Stiftung) v. 12.09.2019
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