Armin Langer war über Nacht zum Mittelpunkt einer sehr kontroversen Auseinandersetzung geworden. Er hatte es gewagt, in seinem ersten deutschsprachigen Artikel „Muslime sind die neuen Juden“ zu behaupten, „dass wir Juden, nach 2000 Jahren der Unterdrückung in Europa endlich Teil des Mainstreams sind und gerade durch unsere historischen Erfahrungen mit Mechanismen der Diskriminierung auf diesem Kontinent nun selbst aufgefordert sind, denjenigen bei der Emanzipation eine Hand zu reichen, die heute institutionell unterdrückt werden. Den Muslimen zum Beispiel. Und den Geflüchteten.“ Der Artikel sei in wenigen Tagen hunderttausendfach angeklickt worden und hätte zu vielen vielen positiven Rückmeldungen, aber auch zu Dutzende Hass- und Drohbriefen geführt.
Das jüdische Establishment in Deutschland vertrat eine diametral andere Sichtweise. Nach dem Gaza-Krieg 2014, nach den Anschlägen von Paris und dem Ankommen der Flüchtlinge aus Syrien, Irak, Afghanistan und anderen muslimisch geprägten Ländern, hatte der Antisemitismusbeauftragte der jüdischen Gemeinde in Berlin, Daniel Alter, erklärt, dass Neukölln für Juden eine No-Go-Area geworden sei. Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, hatte ihm beigepflichtet und eine Obergrenze für Flüchtlinge gefordert. Der israelische Botschafter Yakov Hadas-Handelsmann hatte noch einen draufgesetzt und befunden, dass das Jahr 2014 für Juden in Berlin so schlimm gewesen wäre wie das Jahr 1938. Die deutschen Medien griffen das gern auf und steigerten sich in eine wahre Kampagne, die darin gipfelte, dass die Muslime als die neuen Nazis diffamiert wurden.
Gründung der Salaam-Shalom-Initiative
Armin Langer und mehrere seiner Freunde, die in Neukölln leben, hatten da eine ganz andere Wahrnehmung und waren entschieden anderer Meinung. Sie gründeten kurzerhand eine „kiezpatriotische“ Initiative, die sie „Salaam-Shalom“ nannten. Sie outeten sich als Neukölln-Fans und bekannten sich zu ihrem in Verruf geratenen Stadtteil. In Berlin leben zur Zeit (Touristen nicht eingerechnet) ca. 20 – 30.000 Israelis, davon wiederum ca. 1.000 in Neukölln. Genau könne das niemand sagen, da sich die Immigranten aus Israel nicht mit ihrem isrealischen, sondern mit ihrem deutschen Pass registrieren lassen würden. Denn, so Armin Langer, alle Israelis mit Vorfahren, die von den Nazis verfolgt wurden, hätten das Recht auf einen deutschen Pass. Entsprechendes gelte ebenso für Polen und Rumänien.
Die Salaam-Shalom-Initiative hat sich das Ziel gesetzt, die Kommunikation und Verständigung zwischen den unterschiedlichen Nationen, Religionen, Gruppierungen usw., von denen es laut Auskunft der Bezirksbürgermeisterin 187 (!) gibt, in Neukölln zu fördern. Die Initiative konnte einen überwältigen medialen Erfolg erzielen. Auf ihrer Website findet man einen beeindruckenden Pressespiegel. Lokale, nationale und internationale Medien berichteten, und im August 2014 wurde Salaam-Shalom sogar vom damaligen Bundespräsidenten, Jochaim Gauck, im Schloss Bellevue empfangen.
Armin Langer am 22. Oktober 2017 in Bremen
In Bremen hatten am 23. April 2014 mehr als 5000 Menschen, vorwiegend Palästinenser und Palästinenserinnen, auf dem Marktplatz anlässlich des Gazakrieges demonstriert. Die Demo wurde von einer unglaublichen antimuslimischen Hetzkampagne in den Bremer Medien vorbereitet und begleitet. „Testosteron gepeitschte junge Männer vorneweg, verhetzt, aus jeder Pore dampfend vor Hass. Wenn sich jetzt Andersdenkende nicht vor die Türe wagen, wenn Bremer Juden auf offener Straße angegriffen und gejagt werden, wenn Geschäfte gestürmt werden, weil irgendwer behauptet, sie seien in jüdischer Hand, wenn der Holocaust geleugnet, Fahnen des heiligen Krieges hoch gehalten, Hitler gepriesen, die Juden ins Gas gewünscht…“ So hieß es in einem besonders schlimmen Kommentar von Radio Bremen. (Wir berichteten ausführlich)
Prof. Dr. Johannes Feest, emeritierter Professor für Strafverfolgung, Strafvollzug und Strafrecht an der Universität Bremen, hatte Armin Langer am 22. Oktober 2017 nach Bremen in das Universitätsgästehaus auf dem Teerhof eingeladen. Das Thema: „Salaam-Shalom: Idee und Praxis lokaler Verständigung zwischen Juden und Muslimen“. Die Veranstaltung war Teil einer Reihe, in deren Rahmen bisher Abi Melzer (Frankfurt) und Prof. Dr. Uli Rühl (Bremen) gesprochen haben.
Es wurde im gut besuchten Saal des Gästehauses ein informativer und spannender Abend. Der 27-jährige Armin Langer ist Sohn ungarischer Eltern, er studiert zur Zeit jüdische Theologie an der Universität Potsdam und studierte vorher am Rabbiner-Seminar (Abraham Geiger College) ebenfalls in Potsdam und vorher an der Conservative Yeshiva in Jerusalem. Er lebt offen schwul. Am Abend in Bremen erzählte er im Plauderton und ohne vorbereitetes Skript von seinen vielfältigen Aktivitäten und Erlebnissen in Berlin-Neukölln.
Die vielfach wiederholte Aussage des damaligen Antisemitismusbeauftragten der Jüdischen Gemeinde in Berlin, Daniel Alter, über Neukölln als No-Go-Area, die Juden meiden müssten, hätten ihn geschockt. „Sein“ Bezirk, in dem er lebte, sei als ein verlorenes Schlachtfeld bezeichnet und zum Kampfbegriff geworden. Bei der Pegida in Dresden sei zu hören gewesen, „Neukölln ist schon verloren und wenn ihr nicht aufpasst, wird das auch die Zukunft von Dresden sein.“
„Die Wirklichkeit sieht anders aus“, so Langer. „In Neukölln wohnen 187 Nationen. Einige sind Muslime, andere nicht. Ich wohne da seit vier Jahren, ich wohne zwischen einer Moschee und einer Schwulenkneipe, beides in der gleichen Straße mit zwei Häusern dazwischen. Und beiden geht es gut. Weder stört die Moschee das Publikum der Schwulenkneipe noch umgekehrt das Publikum der Moschee die Schwulenkneipe.“
Das klinge vielleicht alles sehr optimistisch und sehr schön, aber natürlich gäbe es auch in Neukölln Antisemitismus und antisemitische Straf- und Gewalttaten. Aber der Punkt sei, dass es in Neukölln nicht mehr Vorfälle gäbe als in anderen Stadtteilen. Das Hauptproblem sei außerdem die Behauptung, dass vor allem die Muslime antisemitisch seien. „DerAntisemitismus ist aber“, so Langer, „ein Problem der gesamten Gesellschaft. Die Statistiken stehen allen zur Verfügung. 95 – 98 Prozent aller antisemitischen Straf- und Gewalttaten werden von Rechtsextremen begangen, von ordentlichen weißen säkularen Rechtsextremen. Vor allem in den ostdeutschen Bundesländern.“
In der Diskussion
In der Diskussion wurden noch viele Probleme angeschnitten: warum leben jetzt so viele vor allem junge Israelis in Berlin? Was sind ihre Beweggründe, ausgerechnet nach Deutschland und nach Berlin zu kommen? Und wie sind ihre Erfahrungen? Welche Bedeutung hat es, wenn in vielen Schulen das Wort „Jude“ zum Schimpfwort geworden ist? Wie sind speziell die Erfahrungen der Gruppe mit den Geflüchteten aus Syrien, Irak, Afghanistan und den afrikanischen Ländern? Auf diese Frage antwortete der Referent nicht mit allgemein bleibenden Überlegungen, sondern er fing gleich an, so ganz im Plauderton und ganz konkret von seinen Erfahrungen zu erzählen. Es würde in Neukölln jetzt viele Wohngemeinschaften geben, die Flüchtlinge aufgenommen hätten. Diese hätten dann Minipressekonferenzen organisiert und der Presse erzählt, wie der Alltag z.B. in einer jüdisch-syrischen Wohngemeinschaft abgelaufen sei. Größere Problem habe es nicht gegeben. Eine Freundin von ihm habe sich beschwert, dass ihr syrischer Mitbewohner nie die Wäsche mache, und er, Armin Langer habe darunter gelitten, dass in seine kleinen Wohnung sein geflüchteter Mitbewohner so laut geschnarcht habe.
Das Buch von Armin Langer (Ein Jude in Neukölln. Mein Weg zum Miteinander der Religionen. Aufbauverlag Berlin 2016, 19.95 Euro) wurde von denen, die es schon gelesen haben, hoch gelobt. Man müsse es in einem Rutsch durchlesen. Das nächste Buch von Langer wird davon handeln, welches Verhältnis deutsche rechtsradikale und christlich-evangelikale Kreise zur Zeit zum Antisemitismus, den sie nur noch bei Muslimen entdecken könnten, und zu Israel entwickeln. Etwas davon hat Langer schon in einem Artikel in der Zeit v. 26. Juli 2017 über Beatrix von Storch, zur Zeit stellvertretende Vorsitzende der AfD und EU-Abgeordnete, berichtet.
Sönke Hundt
Das Buch ist wirklich sehr gut und empfehlenswert. Darin werden u. a. auch Gemeinsamkeiten zwischen Judentum und Islam benannt (z. B.: Beschneidung, Schächten, Kopftuchtragen, etc.) – und es ist ja immer gut, das Gemeinsame zu betonen, anstatt zu trennen und zu spalten.
Guter Typ, gute Initiative, guter Bericht (in einem schwierigen Diskursimfeld)