Israel, Südafrika und die Apartheid – Anmerkungen zum Tod von Desmond Tutu

Desmond Tutu – Kirchentag Cologne 2007 (7137).jpg – Wikimedia Commons commons.wikimedia.org

Der in der ganzen Welt bekannte und geachtete Erzbischof, Menschenrechtler, Anit-Apartheid-Kämpfer, Weggefährte von Nelson Mandela und Träger des Friedensnobelpreises ist am 2. Weihnachtstag im Alter von 90 Jahren gestorben. Die Medien der Welt berichteten über seinen Tod. Für sie gehört er mit Nelson Mandela und Frederik de Klerk zu den großen Männern der Geschichte, die die Apartheid in Südafrika überwunden haben und denen es zu verdanken ist, „dass das Land den Übergang vom Unrechtssystem der Apartheid zu einer Demokratie mit gleichen Rechten für alle weitgehend geschafft hat“, so die Frankfurter Allgemeine Zeitung in einem Kommentar vom 26. Dezember 2021.

Desmond Tutu und Nelson Mandela forderten Ende der Apartheid auch in Isarel

Dass Desmond Tutu – wie auch Nelson Mandela – vehement die Abschaffung des Apartheid-Regimes auch in Israel gefordert haben – davon ist allerdings in den vielen Nachrufen nur selten die Rede. Eine rühmliche Ausnahme machte (mal wieder) die israelische Zeitung Haaretz. Sie erinnerte in ihrem Nachruf an einen Artikel von Desmond Tutu aus dem Jahre 2014, der einen leidenschaftlichen Aufruf für die Unterstützung der palästinensischen BDS-Boykott-Bewegung enthalten hatte. „Uns Südafrikanern“, schrieb Desmond Tutu 2014, „sind Gewalt und Hass nicht fremd. Wir kennen den Schmerz, die Außenseiter der Welt zu sein. […] Was die Führungspersönlichkeiten letztlich zusammen an den Verhandlungstisch zwang, war die Mischung aus überzeugenden, gewaltfreien Mitteln, die damals eingesetzt worden waren, um Südafrika wirtschaftlich, akademisch, kulturell und psychologisch zu isolieren.“

Und weiter: „Der Staat Israel verhält sich, als gäbe es kein Morgen. Seine Bewohner werden nicht das friedliche und sichere Leben leben, nach dem sie sich sehen und auf das sie ein Anrecht haben, so lange seine Führung Bedingungen aufrecht erhält, die den Konflikt am Leben erhalten. […] Am Ende setzt sich das Gute durch. Das Streben danach, die Menschen in Palästina von der Demütigung und Verfolgung zu befreien, ist ein gerechtes Anliegen. […] Von Nelson Mandela stammt der berühmte Ausspruch, die Südafrikaner würden sich nicht frei fühlen, bis auch die Palästinenser frei sind. Er hätte ebenfalls hinzufügen können, dass die Befreiung Palästinas auch Israel befreien wird.“ (der vollständige Artikel in Haaretz v. 26.12.2021; in deutscher Übersetzung in: Avaaz v. 26.12.2021)

Israelische Regierungen sahen im Apartheid-Regime Südafrikas ein Vorbild für Israel

Eine Politik der Apartheid ist heute international geächtet und völkerrechtlich illegal. Weniger bekannt ist, dass die „einzige Demokratie im Nahen Osten“ mit der Politik des „weißen“ Südafrikas heftig sympathisierte und vielfältige Verbindungen unterhielt. Diese umfassten eine enge Kooperation in Bezug auf Militär, Rüstung, Polizei und Geheimdiensten – bis hin zu gemeinsamen Anstrengungen, die Atombombe zu bauen.

Foto: privat

Avi Primor, der frühere Botschafter Israels in Deutschland (von 1993 – 1999), schildert in seinen Erinnerungen („Nichts ist jemals vollendet“, Köln 2015, S. 227 f.), wie er sich mit Ariel Sharon, damals Regierungsmitglied unter Yitzhak Shamir, in einer Sondermaschine auf dem Flug von Südafrika nach Tel Aviv über die Organisation der Bantustans durch die südafrikanische Regierung unterhielt. Das war in den frühen 80ern. Ihm sei schon bewusst gewesen, dass Israels Beziehungen zum Apartheidsregime in Südafrika sehr eng und tiefgreifend waren. Aber Ariel Sharon wollte mehr wissen. Er interessierte sich bis ins Einzelne für die Art und Weise der Apartheid und den Problemen ihrer praktischen Umsetzung in den ‚Bantustans‘, wie die Südafrikaner ihre Enklaven für die schwarze Bevölkerung nannten.

„Je mehr Fragen Sharon mir zu den Bantustans stellte, desto klarer wurde mir, dass er gar nicht an Südafrika, sondern an die palästinensischen Gebiete dachte. Als Sharon im Jahr 2002 erklärte, dass er die Besetzung der palästinensischen Gebiete beenden und den Palästinensern das geben würde, was sie in ihrer Geschichte nie hatten und nie von jemandem bekommen würden – einen Palästinenserstaat – begriff ich dank unserer Gespräche in Südafrika zwanzig Jahre zuvor sehr schnell, was er meinte. Er dachte an ein in drei Teile gestückelte Palästina, dessen Teile keinen geografischen Kontakt zueinander haben würden: zwei Teile des Westjordanlandes, insgesamt vierzig Prozent des Gebiets, und der Gazastreifen. […] Da Israel die Teile des Westjordanlandes, die nicht Teil des Palästinenserstaates werden sollten, später annektieren würde, würden die Palästinenser in diesen Staaten tolerierte Ausländer ohne politische Rechte bleiben. […] Er und das gesamte rechte Lager in Israel gingen nämlich davon aus, dass wir zumindest das Westjordanland behalten und im Laufe der Zeit in unser Staatsgebiet eingliedern sollten.“

Avi Primor, der damals seinen Chef, Ariel Sharon, über südafrikanische Apartheid-Politk informierte, ist später zu einem erbitterten Gegner der israelischen Besatzungspolitik geworden. „Ich fand“, schrieb er in seinen Erinnerungen (S. 243), „dass eine Zusammenarbeit mit dem weltweit einzigen Staat, der nach der Nazizeit Rassegesetze eingeführt hatte, stinkt, und zwar außerordentlich. […] Was mich besonders verdross, waren die emotionalen Beziehungen, die sich zwischen den israelischen Verteidigungs- und Militärbehörden und ihren Kollegen in Südafrika entwickelt hatten. Südafrika war für sie nicht nur zu einem Partner, sondern zu einem Freund, ja sogar zu einem Bruderland geworden.“

Wie die Geschichte zeigt, hat das Apartheid-Regime in Südafrika keinen Bestand gehabt.
Sönke Hundt

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in allgemein von . Setze ein Lesezeichen zum Permalink.