„Wenn Empathie als Verbrechen zählt“ – Interview mit Yehuda Shaul

Yehuda Shaul war 2010 im DGB-Haus in Bremen

Yehuda Shaul ist Mitbegründer von „Breaking the Silence“, einer NGO israelischer Ex-Soldaten, die die israelische Öffentlichkeit mit der Realität in den besetzten Gebieten konfrontiert. Marian Brehmer sprach mit ihm über den Gaza-Krieg und die Folgen der anhaltenden Besatzungspolitik.

Mit der gegenwärtigen „Operation Protective Edge“ der israelischen Armee scheint die Gewalt gegen Zivilisten in Gaza einen vorläufigen Höhepunkt gefunden zu haben. Trifft dieser Eindruck zu?

Yehuda Shaul: Um diese Frage sicher beantworten zu können, werden wir noch mehr Untersuchungen benötigen. Allerdings kommen bei der gegenwärtigen Operation neue Strategien zum Einsatz, die so vor ein paar Jahren noch undenkbar gewesen wären. Ich werde Ihnen ein Beispiel nennen: Einer der Soldaten, der 2009 an der „Operation Gegossenes Blei“ teilnahm und bei „Breaking the Silence“ ausgesagt hat, erzählte uns diese Geschichte, die sich in den ersten Tagen der Operation ereignete.

Bei einem Diensteinsatz hatte er zwei oder drei Palästinenser gesichtet, die etwa 200 Meter vor ihm aus einem Haus gingen. Kurze Zeit später kehrten sie wieder in das Haus zurück. Per Funk gab er Details über ihre Bewegungen an das Kommando weiter. Als Antwort darauf rief das Kommando einen Kampfjet herbei, um das Haus bombardieren zu lassen. Der Soldat war schockiert und protestierte. Er sagte, dass die Männer unbewaffnet seien und keinerlei direkte Bedrohung für die Armee darstellten. Die Leute vom „Shin Bet“, dem israelischen Inlandsgeheimdienst, entgegneten, dass der Besitzer dieses Hauses ein Hamas-Aktivist sei und man es deshalb bombardieren müsse. Das Haus wurde daraufhin in Schutt und Asche gelegt, obwohl sich darin auch Frauen und Kinder aufhielten. Fakt ist, dass solche Vorfälle bei der „Operation Gegossenes Blei“ sporadisch waren. Doch für die „Operation Protective Edge“ sind sie inzwischen zur allgemeinen Strategie geworden. Häuser werden in die Luft gejagt, obwohl man weiß, dass sich darin Familien befinden.

Wie erklären Sie sich diese Brutalisierung in der Kriegsführung?

Shaul: Mit den israelischen Verteidigungskräften (IDF) geht es von Operation zu Operation weiter bergab. Für uns als Land ist der moralische Tiefpunkt, auf dem wir seit der vorhergehenden Militäroperation angekommen sind, der Ausgangspunkt für die nächste Operation. Und so setzt sich das weiter fort. Mit der „Operation Protective Edge“ wurde dort angeknüpft, wo 2009 die „Operation Gegossenes Blei“ gegen die Hamas aufgehört hatte. Doch die Methoden, die nun verwendet werden, sind schlichtweg wahnsinnig. Die Armee wirft als Warnung kleine Bomben auf Dächer oder gibt den Hausbewohnern ein kurzes Zeitfenster, in dem sie das Haus zu verlassen haben, bevor es zerstört wird. Aber selbst wenn bekannt ist, dass die Familie das Haus noch nicht verlassen hat, wird es in vielen Fällen dennoch bombardiert. Und so bringt man die gesamte Familie um.

Das ganze Interview hier

Quelle: Quantara.de (Dialog mit der islamischen Welt) v. 11.08.14