Zum 50. Jahrestag der Aufnahme diplomatischer Beziehungen: eine offene Kritik an Israel ist nötig!

Avraham Burg.
Foto by David Shankbone, wikimedia commons

Am 12. Mai werden die Regierungen Deutschlands und Israels die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen vor 50 Jahren als großes Jubiläum feiern. In Bremen organisieren die Senatskanzlei, die Jüdische Gemeinde und die Deutsch-Israelische Gesellschaft (DIG) einen Israel-Tag auf dem Bremer Marktplatz „mit Essen und Trinken, Musik und Reden“. Begleitet wird das Jubiläum mit 14 Veranstaltungen an verschiedenen Orten. Folklore und Kultur stehen im Vordergrund. Politisches, Kritisches und Nachdenkliches werden eher ausgeblendet.

Sehr nachdenklich äußerte sich zu diesem Jubiläum im Deutschlandfunk Avraham Burg. Der bekannte israelische Politiker und Autor war in führenden Funktionen in der israelischen Arbeitspartei und neben anderen prominenten Ämten von 1999 bis Anfang 2003 Parlamentspräsident der Knesset. Burg hat im Januar 2015 seinen Beitritt zum linken Parteienbündnis Chadasch bekannt gegeben. In seinem 2009 auch auf deutsch erschienenen Buch „Hitler besiegen. Warum Israel sich endlich vom Holocaust lösen muss“ stellt er eine Reihe von Kernthesen des Zionismus in Frage.

Im Interview der Woche des Deutschlandfunks vom 10. Mai 2015 fordert Avraham Burg Deutschland und Europa zu offener Kritik an der israelischen Politik auf. Aus dem langen Interview hier zwei besonders aufschlussreiche Passagen:

  • „Das kann so nicht weitergehen. Solange sich Deutschland fürchtet, seine Meinung öffentlich zu äußern – Merkel hat es im vergangenen Jahr höflich formuliert – und solange Deutschland denkt, dass unter moralischen Beziehungen zwischen den Völkern die Lieferung von U-Booten zu verstehen ist, kann sich nichts ändern. Es geht hier um Europa insgesamt, aber im Herzen Europas ist Deutschland – in jeder Hinsicht. Solange es nicht in der Lage ist, offen und laut seine Meinung zu sagen – es hat drei schreckliche Komplexe: Den Komplex des Postkolonialismus gegenüber dem Nahen Osten insgesamt, den Komplex der Nach-Schoahh gegenüber den Juden und den Minderwertigkeitskomplex gegenüber Amerika -, dann ist Europa kein politischer Player. Und wenn Europa kein politischer Player ist, kann Israel tun, was es will.“
  • „Das Israel von 2015 ist nicht das Israel von 1950 oder 1960, sowohl im Blick auf seine Führung als auch im Blick auf seinen existenziellen Inhalt. In welcher Hinsicht? Deutschland ging aus dem Krieg als eine geschlossene Gesellschaft hervor, hin zu einer offenen Gesellschaft. Deutschland ist heute ein sehr offenes Land. Der Begriff „Volk“ meint heute die Bürger, nicht die Nation. Er wird viel weiter verstanden. Und ich rede hier nicht nur über die Menschen aus der DDR, sondern über Menschen aus der Türkei, aus Afrika und Nordafrika und so weiter. Ein sehr offener Staat, der sich heute durch die Nationalität der Bürger und die Kultur des Ortes auszeichnet. Israel ist geschlossen und schließt sich mit der Zeit weiter ab. Und wogegen schließen wir uns ab? Die Israelis sind zutiefst überzeugt – das ist natürlich eine ungenaue Verallgemeinerung -, dass erstens die ganze Welt gegen sie ist, zweitens Europa vom Antisemitismus getrieben ist und drittens die zweite Schoah vor der Tür steht. Alle diese Dinge sind aus meiner Sicht – ich formuliere es vorsichtig – Unsinn. Aber wir wissen es nicht: Es gibt eine Indoktrination auf der politischen Ebene. Die Schoah ist die nationale Strategie, oder besser: Das Trauma ist die nationale Strategie, die Führung fördert das Trauma, denn das ermöglicht viele Dinge, zu denen ein intakter Staat und eine intakte Gesellschaft nicht bereit wären.“

Sönke Hundt

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