Warum dieses Logo?

Dies ist ein sehr nachdenklicher und nachdenklich machender Text. Er erlaubt einen tiefen Blick in die Seele der Palästinenser und erklärt ihre Enttäuschung darüber, wie ihr überaus schmerzliches Schicksal von den deutschen und vor allem den Berliner Mainstream-Medien und ihren Journalisten immer noch und immer wieder ignoriert und missachtet wird. (Die Redaktion)
 

Arabische und  Palästinensische Vereine  in  Berlin. Gedanken zu  dem  Logo  für  die  13. Konferenz der Palästinenser in Europa vom 25. April 2015 in Berlin. Ein  Erklärungsversuch

Liebe Freunde,
wie Ihr wisst, gab es vor unserer Konferenz eine Medienkampagne gegen uns, die zum Ziel hatte, die Konferenz  in der ARENA Treptow zu verhindern. Es war die Tagung palästinensischer Organisationen, die sich mit dem Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge in ihre Heimat beschäftigte. Viele Behauptungen, Vorwürfe, Unterstellungen wurden in  verschiedenen Medien geäußert.

Wir haben uns erfolgreich dagegen gewehrt und eine Konferenz erlebt, die uns noch Tage danach mit großer Freude und Genugtuung erfüllt: Viele Menschen waren gekommen aus vielen Ländern Europas, aus Palästina und der arabischen Welt. Man sagte uns, wir seien gute Gastgeber gewesen. Wir geben das Kompliment zurück: Die Gäste waren sehr hilfsbereit und freundlich. Es war hauptsächlich ein schönes Fest, aber die ernste Politik und die tragischen Momente der palästinensischen Situation wurden nicht ausgeklammert. Denn das Thema hieß „Rückkehrrecht“ der Palästinenser, so wie es schon 1948 in der UNO-Resolution Nummer 194 festgehalten worden ist.
Merkwürdigerweise haben sich viele Medien mit dem Logo unserer Konferenz beschäftigt und gerätselt, was die Palästinenser wohl damit ausdrücken wollten. So saßen wir zusammen und haben uns entschlossen, einige Gedanken aufzuschreiben, für unsere Freunde und solche, die es werden wollen.

Wir  sehen  einen Schlüssel über einer großen, plakativ gezeichneten 13. Enthalten sind die Fahnen Palästinas, der EU und Deutschlands. Die Eins hat die Umrisse Palästinas, der Heimat  der in Israel lebenden Palästinenser, der in der Westbank und in Gaza lebenden, der  Flüchtlinge in Jordanien, Syrien, im Libanon, viele von ihnen leben noch heute oder nun schon wieder in Flüchtlingslagern.  Wir sehen den Schlüssel als Motiv zur Erinnerung an die verlorene Heimat, an die vielen palästinensischen Flüchtlinge oder an die ausgewanderten Palästinenser in so viele Länder der Welt, in die umliegenden arabischen Länder, in das südliche Afrika, nach Lateinamerika, in die USA, nach Kanada und nach Europa. Auf dem Logo sind die Sterne der europäischen Fahne das Symbol für die verschiedenen Länder Europas, in denen Palästinenser heute leben. Sie vor allem waren die Gäste der 13. Konferenz der Palästinenser in Europa, die dieses Jahr wieder in Berlin stattfand wie schon 2004 und 2010.

Selbst so eine schöne Darstellung regt manche Journalisten dazu an, so über unser Logo zu schreiben, als könne man es den Palästinensern verbieten, über sich, ihre Geschichte, ihr Schicksal, ihren Verlust Palästinas und über ihre Zukunft nachzudenken. Auch Bilder können sie nicht dulden, wenn auf ihnen nicht zu sehen ist, was sie selber suchen. Die Kritiker wollen, dass immer Israel gleichzeitig berücksichtigt wird. So verlangt man von den Palästinensern, dass sie die Karte ihrer Heimat mit dem Hinweis abdrucken: Hier sehen Sie Israel, denn Palästina gibt es nicht mehr, seit dem Krieg von 1967 hat sich Israel auch den Rest des ursprünglichen Palästina einverleibt:  Den Gazastreifen, die Westbank und die Golanhöhen.

Wie das zukünftige Palästina aussehen wird, weiß noch niemand. Denn die Besatzungsmacht Israel verweigert sich jeder Friedensverhandlung. So ist also noch gar nicht sicher, wie zwei Staaten, Palästina und Israel, die nebeneinander und gleichberechtigt existieren werden, aussehen werden, welche Grenzen sie haben werden. Seit der Gründung Israels am 14. Mai 1948 und den folgenden Kriegen gab es unterschiedliche Unterdrückungsformen für die Palästinenser. Die Bestrafung der Palästinenser war immer hart und gründlich: Für einen Zeitungsartikel konnte man zeitweise ins  Gefängnis kommen oder für das Hissen der palästinensischen Fahne. Die Fahne als Zeichen des Anspruchs auf eine Heimat war für israelische Machthaber „ein rotes Tuch“. Jugendliche wurden bestraft, selbst Maler  wurden aufgefordert, in ihren Bildern nicht die Farben der palästinensischen Fahne zu verwenden. Kleinen Mädchen wurden an Checkpoints ihre geflochtenen Armbänder zerschnitten, wenn sie die Farben der palästinensischen Fahne hatten. Schmuckstücke, Kettenanhänger mit dem Umriss des ursprünglichen Palästina waren nicht erlaubt. Es herrscht auch heute noch ein gewisser Verfolgungswahn bei der Besatzungsmacht in Sachen  Palästinafahne, obwohl seit der Rückkehr von Yassir Arafat aus dem Exil 1994 und der Existenz der palästinensischen Autonomiebehörde das palästinensische Nationalbewusstsein nicht mehr  so konsequent unterdrückt werden kann wie früher.

Die Palästinenser haben keinen unabhängigen souveränen  Staat. Wenn sie also für eine Konferenz ein Logo gestalten, auf dem ihre ursprüngliche Heimat abgebildet ist, die liebevoll mit einer Fahne umwickelt ist, dann meinen manche Journalisten bei uns hier in Deutschland zu sehen: „Die Palästinenser wollen keine Zwei-Staaten-Lösung“. Und dabei vergessen sie, dass die PLO die UNO Resolution 242 befolgt hat und ein palästinensischer Staat auf nur 22 Prozent des historischen Palästina entstehen wird. Nach Israels Sechs-Tage-Krieg im Juni 1967 gegen Ägypten, Syrien und Jordanien forderte der UNO-Sicherheitsrat mit der Resolution 242  vom November 1967 Israel zum Rückzug aus den neu eroberten Gebieten auf und es sollte die „Grüne Linie“ von 1949 als Grenze gelten. Aber heute zerschneidet eine weit mehr als doppelt so lange (720 Kilometer) und neun Meter hohe Apartheid-Mauer das Land, denn ganze palästinensische Ortschaften sind eingekreist und von Israel annektiert und in der Westbank leben über 600 000 israelische Siedler. 2004 entschied der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag, dass der Bau der Mauer illegal sei. Die Mauer müsse abgerissen und die um ihren Landbesitz gebrachten Palästinenser entschädigt werden. Aber Israel richtet sich nicht danach und erfüllt auch keine der vielen UNO-Resolutionen gegen seine Besatzungspolitik.

Israel hat heute einen Ministerpräsidenten, der die letzten Wahlen mit dem  Versprechen gewonnen hat, dass es mit ihm nie einen palästinensischen Staat geben wird. Israelische Politiker  haben Palästina nie anerkannt, haben nie zukünftige Grenzen beider Staaten  festgelegt, sprechen von „Judäa“ und „Samaria“ wie zu Bibel’s Zeiten und meinen die Westbank. Was glauben diese Medien wohl, wie sähe deren Logo von Israel, dem „Heiligen Land“, aus?

Was denkt ein Palästinenser, wenn er hört, dass Netanjahu nun auch die französischen Juden aufruft, nach Israel zu kommen, weil es dort sicherer sei als in Europa? Ein Palästinenser in einem Flüchtlingslager im Libanon (nicht nur im Libanon) , der sich vielleicht wünscht, einmal in seinem Leben Jerusalem, die Stadt, in der er oder seine Eltern geboren wurden und aus der sie 1948 gewaltsam vertrieben wurden, wiederzusehen? Dem nie erlaubt wurde, nach Jerusalem zu fahren? Der von seinen Eltern den Schlüssel zu ihrem Haus geerbt hat oder zu ihrer Wohnung, die sie damals innerhalb einer Stunde verlassen mussten oder aus der sie  geflohen sind, weil sie von schrecklichen Gräueltaten israelischer Soldaten gehört hatten? Sie waren an keinem Krieg schuld, ihr Land hatte während der Nazizeit weit mehr Flüchtlinge aus Europa aufgenommen als viele andere Länder. Ohne die Ermordung so vieler Juden durch die deutschen Nazis, ohne den Holocaust, hätte es 1947 keine Entscheidung in der UNO gegeben, das Land Palästina zu teilen (hier die UNO-Resolution Nummer 181). Das heißt, die Tragödie der Palästinenser begann spätestens mit den deutschen Verbrechen, aber schon der Erste Weltkrieg und die folgende britische Besatzungszeit führten zum Arabischen Aufstand 1936 bis 1939 in Palästina.

Wenn  Israelis eine Karte zeigen  mit den Gesamtumrissen des Landes ohne die Einzeichnung der Westbank, Gazas und Ostjerusalems  als palästinensische Gebiete und als den zukünftigen Staat, kämen einige Journalisten in Deutschland höchst selten darauf, eine solche Karte nicht zu akzeptieren. Auch würden sie wahrscheinlich nicht nach den fehlenden israelischen Siedlungen in der Westbank fragen, die sich fast täglich vergrößern. Oder nach den Apartheid-Straßen, die sich durch die Westbank ziehen und auf denen Palästinenser nicht fahren dürfen. Aber wenn die Palästinenser  die Umrisse des historischen Palästina zeigen, können Journalisten darüber ganze Artikel schreiben.
Zur Erinnerung: Die PLO ist die Vertreterin des palästinensischen Volkes, in der PLO sind fast alle politischen Organisationen der Palästinenser vertreten. Sie wurde 1964 in Jerusalem gegründet, als noch viele Länder dieser Erde für ihre Befreiung vom Kolonialismus kämpften oder gerade unabhängig geworden sind, oft waren es schrecklich grausame Befreiungskriege wie Algeriens Unabhängigkeitskampf gegen Frankreich oder Angolas und Mosambiks gegen Portugal. Daran erinnerte Yassir Arafat in seiner ersten Rede vor der UNO 1974.

Die PLO hat Israel anerkannt, aber Israel hat nur die PLO, keinen Staat Palästina anerkannt, das ist der Unterschied. Arafat erhielt 1994 den Friedensnobelpreis. Die PLO erhielt am 29. November 2012 den Beobachterstatus als Staat Palästina bei der UNO.
Im Übrigen enthält auch das aktuelle Logo der PLO unter der Führung von Präsident Abbas und früher auch von Präsident Arafat eine historische Landkarte von Palästina.
<http://www.palestinepnc.org/index.php?option=com_content&view=category&id=99&Itemid=364&lang=ar>

Es war Nelson Mandela, ein Freund von Yassir Arafat, der gesagt hat: Die Südafrikaner werden erst dann wirklich frei sein, wenn auch die Palästinenser frei sein werden. Und Desmond Tutu, der oft in Palästina war, kritisierte die israelische Besatzungsmacht scharf und nannte sie schlimmer als die Apartheid-Politik damals in Südafrika.

Auch über einen großen gezeichneten Schlüssel können  sich manche Journalisten erregen, nicht aber über die Tatsache, dass 800 000 Menschen 1947/1948 aus ihrer Heimat einfach vertrieben wurden und absolut nichts besaßen und  jahrelang  dicht an der Grenze im Libanon, in Syrien, im Irak und Jordanien in Zelten lebten und dachten, sie könnten jeden Tag zurückkehren. Aber das „Land ohne Volk für ein Volk ohne Land“, das hat es nie gegeben, sondern es wurde erst durch die Vertreibung der Palästinenser Wirklichkeit, so dass Israel auf Einwanderung hoffte, es war das Land der Palästinenser. Und in Deutschland ist das Tabu so absolut, dass manche Menschen es schaffen, eher über ein Logo oder über einen Schal mit den Umrissen des historischen Palästinas zu reden als über die ewige, höchst ungerechte Leidenszeit der Palästinenser, über das zerstörte und immer noch belagerte Gaza, nunmehr seit acht Jahren, über die Palästinenser im Libanon und in Syrien im Yarmouk Flüchtlingslager, über die ertrunkenen Flüchtlinge vor Europas Grenzen, auch Palästinenser kommen so zu Tode. Schuldgefühle den Palästinensern gegenüber haben viele Deutsche nicht – oder selten. In jedem Fall können Deutsche mehr dafür tun, ihr Leiden zu beenden.

Indem sie über die Nakba berichten, über die vielen palästinensischen Gefangenen in israelischen Gefängnissen, auch Frauen, Kinder und Jugendliche sind darunter. Über die Forderungen von hungerstreikenden Gefangenen, über systematische Folter, über die Spitzelanwerbung der israelischen Geheimdienste, selbst unter palästinensischen Kindern, über die Erpressung falscher Geständnisse, Verteufelung von Politikern, den Einsatz verbotener Munition während der drei militärischen Überfälle auf Gaza 2008/2009, 2012 und 2014, Gaza liegt am Boden, die Menschen leben in Ruinen, Baumaterial wird nicht hereingelassen, nun ist auch die Grenze von Gaza nach Ägypten dank Herrn Sisi meistens hermetisch verschlossen, die Versorgungstunnel gesprengt oder geflutet, das Grundwasser mangels Kläranlagen und wegen fehlender Stromversorgung  verseucht, und all das zum dritten Mal. Denn die israelischen militärischen Verbrechen von 2008/2009 sind bereits im Goldstone-Bericht genauestens festgehalten, alles wiederholte sich 2014, nur gründlicher und mit viel mehr Opfern: Über 2200, davon allein 500 Kinder. Den Inhalt des Goldstone-Berichts kennt kaum ein Journalist, wohl aber die israelische Behauptung, von Innenminister Jishai in die Welt gesetzt und von Netanjahu wiederholt, Goldstone habe den Bericht widerrufen: Es ist eine Lüge, dieser UNO-Bericht hat vier Autoren und liegt bereit als Grundlage für einen Prozess vor dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag.

Journalisten könnten auch ganz aktuell darüber berichten, dass die Partei DIE LINKE am 23. April, also mitten in der Kampagne gegen unsere Konferenz, einen Antrag in den Deutschen Bundestag einbrachte: „Palästina als Staat anerkennen“, Wolfgang Gehrcke hielt die Rede zur Begründung des Antrags und es gab eine erste Lesung. Damit würde sich Deutschland den 136 Staaten der Welt anschließen, die Palästina bisher anerkannt haben.

Wenn die Journalisten, die sich heftigst bemüht haben, das Treffen mit unseren Freunden aus anderen europäischen Ländern zu verhindern, all diese Themen schon einmal zur Kenntnis genommen hätten, wären sie nicht mit so einer großen Selbstverständlichkeit bei der Nennung der Wörter „Hamas“ und „Logo“ auf die Kampagnenreiter hereingefallen.

Unsere deutschen Freunde sind schon lange an unserer Seite. Wir sind ihnen von ganzem Herzen dankbar dafür, dass sie unsere demokratischen Rechte auf die freie Meinungsäußerung in unserer zweiten Heimat Deutschland mit verteidigt haben und dass sie zu uns in die Arena in Berlin gekommen sind.  Und die, die  unsere Freunde werden wollen, brauchen nur zu uns zu kommen und uns auszufragen, für ein gemeinsames Lernen. Wir warten auf Euch.

Solidarität ist die Zärtlichkeit der Völker.

Arabische und Palästinensische Vereine in Berlin (arabforumgermany@aol.com)

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