Am 18. März 2008 hatte Angela Merkel vor dem israelischen Parlament, der Knesset, folgendes erklärt: „Jede Bundesregierung und jeder Bundeskanzler vor mir war der besonderen historischen Verantwortung für die Sicherheit Israels verpflichtet. Diese historische Verantwortung ist Deutschlands ist Teil der deutschen Staatsraison meines Landes. Das heißt: die Sicherheit Israels ist für mich als Bundeskanzlerin niemals verhandelbar.“
„Was bedeutet das heute konkret?“ Diese Frage stellte die Deutsch-israelischen Gesellschaft (DIG) während einer Podiumsdiskussion im Festsaal der Bremischen Bürgerschaft den Vertretern der in der Bürgerschaft vertretenen Parteien. Zu Antworten waren bereit: Christian Weber, Präsident der Bürgerschaft, für die SPD, Dr. Henrike Müller, Landesvorsitzende der Grünen, Jörg Kastendiek, Landesvorsitzender der CDU (er kam verspätet) und Michael Horn als Vertreter des Landessprechers der LINKEN. Gekommen waren etwa 30 Interessierte.
Vor dem Eingang zur Bürgerschaft verteilten Mitglieder des Nakba-Arbeitskreises ein Flugblatt („Kann man das 50-jährige Jubiläum der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Deutschland und Israel feiern, ohne auf die Doppelmoral der Politik hinzuweisen“) und für besonders Interessierte eine mehrseitige Ausarbeitung von Arn Strohmeyer („Zwischen Doppelmoral und Lebenslügen“).
Wer auf eine interessante Diskussion angesichts der in die Sackgasse geratenen Situation in Israel gehofft hatte; wer neue Antworten oder wenigsten neue Fragen angesichts der neuen israelischen Regierungskoalition der extremen Rechten erwartet hatte, wurde enttäuscht. Auch was die umstandslose Aufkündigung der Zwei-Staaten-Lösung für die deutsche und europäische Politik bedeuten könnte – Fragen dieser Art wurden nicht gestellt und waren offenbar nicht von Interesse. Diplomatische Bemühungen für eine Friedenslösung durch Verhandlungen – offenbar kein Thema mehr!
Hermann Kuhn, Vorsitzende der DIG und Moderator der Diskussion, interessierte sich allein für die die militärische Lösung des Konflikts. Eindringlich befragte er die anwesenden Parteienvertreter nach ihrer Haltung angesichts der letzten angekündigten und schon getätigten Waffenlieferungen nach Israel: die sechs atomwaffenfähigen U-Boote und die gerade versprochenen sechs Raketen-Schnellboote. Und er schickte noch eine Frage nach: wie wärs mit einem Einsatz der Bundeswehr in Israel/Palästina, z.B. im Gazastreifen?
Christian Weber trat in seinem Statement seinem eigenen Parteivorsitzenden, Siegmar Gabriel, kräftig vors Schienbein, indem er sich von dessen kritischer Frage nach Tendenzen zu einem Apartheid-Staat in Israel distanzierte. „Das habe ich mit großem Entsetzen zur Kennis nehmen müssen“, sagte er. Auch dass Gabriel sich mit Vertretern der palästinensischen Autonomiebehörde getroffen und sich sogar mit deren Präsidenten Mahmud Abbas beraten hatte, fand Weber falsch. Die Waffenlieferungen dagegen wären richtig und für Israels Sicherheit notwendig; den Einsatz der Bundeswehr fand er mindestens überlegenswert.
Henrike Müller von den Grünen gab sich da etwas gemäßigter. Michael Horn von den LINKEN sah – entsprechend den Beschlüssen seiner Partei – die Frage der Waffenlieferungen kritisch.
Wie sehr der Blick und die Wahrnehmung auf den Nahost-Konflikt getrübt wird von Vorurteilen zeigte ein ganz bezeichnendes Detail während der Diskussion. Ein älterer Herr (vielleicht von der jüdischen Gemeinde?) erzählte mit hohem Pathos von seinem tiefen Entsetzen, das ihn während der Demonstration und der Kundgebung am 23. Juli 2014 gepackt habe. Er hätte mit eigenen Ohren anhören müssen, wie 5000 Menschen geschrien hätten: „Hamas, Hamas, Juden ins Gas!“ Ein ebenfalls älterer Herr und ehemaliger Pastor meinte nur: er hätte nichts dergleichen gehört. Tatsächlich war in einigen Medien berichtet worden, dass solche Rufe in Berlin zu hören gewesen wären. Aber ganz sicher nicht in Bremen und ganz sicher nicht von den 5000 Menschen auf dem Marktplatz!
Sönke Hundt
Um die Veranstaltung beurteilen und kommentieren zu können, hätte man die ganze Zeit dabei bleiben und nicht schon zur Hälfte gehen sollen.