Begrüßungen
Das Organisationskomitee, so Eva Böller als seine Sprecherin, sei der Gemeinde überaus dankbar, dass der Basar nach all den Jahren in der Stephani-Gemeinde hier in der Neustadt nun eine neue Bleibe gefunden habe und so herzlich aufgenommen worden sei. Thomas Lieberum malte mit einem sehr leichten Pinselstrich und in Anlehnung an die Johannes-Offenbarung aus dem Alten Testament ein Bild von einem christlichen Gott, der nicht in einem Palast oder einer Kathedrale wohne, sondern in einer Hütte oder einem Zelt als Nachbar der Menschen. Und der, wenn es einem der Nachbarn schlecht ginge, vorbeikäme und die Tränen abwische. Am 1. Advent werde auch bestimmt wieder „Macht hoch die Tor macht weit“ aus dem 24. Psalm gesungen. „Und das“, so Thomas Lieberum, „ist unser Auftrag, die Tür weit aufzumachen und hereinzulassen diejenigen, denen es schlecht geht.“ Bei den vielen Flüchtlingen, die zu uns kämen, sage die Kirche jetzt nicht „oh, wir sind schon zu viele hier und das Boot ist voll“, sondern sie frage: „Wie schlecht geht es den Leuten, wo ist die Not, und wie können wir ihnen helfen.“ Viel Beifall für eine kurze und herzliche Begrüßung!
Als Bashar Al-Assad als junger Präsident Syriens an die Macht gekommen sei – nicht durch demokratische Wahlen übrigens -, habe er eine Fülle von politischen und sozialen Problemen vorgefunden und habe versucht, sie durch eine Reformpolitik zu lösen. Viele wären ihm am Anfang auf diesem Kurs gefolgt, vor allem die jungen Leute, die die Modernisierung des Landes und eine Öffnung zum Westen hin begrüßten. Karin Leukefeld hat in dieser Zeit in Syrien gelebt und gemerkt, wie auch für sie während dieser Zeit der ersten gesellschaftlichen Veränderungen das Leben immer einfacher geworden sei. Eine Politik der Öffnung, ein besseres Miteinander der Staaten des mittleren Ostens nach dem Vorbild der Europäischen Union, das hatte der junge Präsident gewollt, und das hatten sich viele in Syrien erhofft.
Andererseits aber hätte die Öffnung nach Westen und die Liberalisierung der Märkte auch dazu geführt, dass immer mehr Investitionen und Produkte vor allem aus der Türkei über die vielen neu geschaffenen Grenzübergänge in das Land gekommen seien und damit viele Familienbetriebe in Syrien in der (kleinen) Industrie, im Handwerk und in der Landwirtschaft in große Schwierigkeiten und auch in den Ruin getrieben habe. „Das schürte den Zorn bei vielen auf diese neue Politik. Und mit dem Beginn des arabischen Frühlings gab es auch zunehmend Proteste in Syrien, die nun in relativ kurzer Zeit in Gewalt und in eine allgemeine Militarisierung der Konflikte umschlugen.“Im Jahr 2011 wäre dann die Entwicklung schnell eskaliert. Sehr früh sei von den umliegenden Staaten, also von Jordanien, Saudi-Arabien, von der Türkei aus und aus den westlichen Ländern Einfluss auf diese Protestbewegung genommen worden. Schon im Juni 2011 habe es dann eine erste große Konferenz mit über 150 Teilnehmern der syrischen Opposition in Damaskus gegeben (woran Karin Leukefeld teilgenommen hat), von der ein klares Signal ausgegangen sei: sie wollten mit der Regierung reden, aber es dürfe keine Gewalt geben.
Die Regierung solle alle politischen Gefangenen freilassen und mit den oppositionellen Gruppen in Syrien in einen Dialogprozess eintreten.Außerhalb Syriens, in der Türkei, wäre in dieser Situation die „Freie syrische Armee“ gegründet worden, die diesen Prozess des Dialogs frontal angegriffen und medial unglaublich heftig diffamiert habe. Diese „FSA“ sei umgehend von den westlichen Ländern beraten und medial und finanziell unterstützt worden. Drei Monate nach der Konferenz im Juni 2011 sei die Situation schon völlig eskaliert und eine Flugverbotszone und der Militäreinsatz der NATO zum Sturz der syrischen Regierung gefordert.Wie schätzt Karin Leukefeld die Situation jetzt ein? Sie ist davon überzeugt, dass Krieg immer vermieden werden muss. Und stimmt darin Helmut Schmidt zu, der mal gesagt habe, 100 Stunden Verhandlungen seien immer besser als eine Stunde Krieg. Deshalb auch müsse man den jüngsten Beschluss des Sicherheitskabinetts der Bundesregierung, jetzt die Bundeswehr in Syrien einzusetzen, ein entschlossenes NEIN! entgegen setzen. „Für mich ist klar“, sagte sie, „es ist in Syrien kein Bürgerkrieg, es ist ein Stellvertreterkrieg.“ Es existiere in diesem Land immer noch der „gewebte Teppich“, der die syrische Gesellschaft repräsentiere und der nach wie aus vielen Gruppen, Schichten, Völkern und Religionen bestünde. Sie wisse von vielen Versöhnungskomitees, die schon über 40 lokale Waffenstillstände hätten aushandeln und den Krieg in ihrem Gebiet stoppen können. Diese Art von gesellschaftlicher Versöhung wäre ein großes Hoffnungszeichen. Ein Vertreter der Vereinten Nationen habe ihr in einem Gespräch bestätigt, dass, wenn die Syrer unter sich gelassen würden, ein Frieden schnell erreicht werden könnte, weil alle vom Krieg müde und erschöpft seien. Wer an einem Frieden überhaupt kein Interesse hätte, das wären die vielen bewaffneten Kämpfer, die als Söldner kein Interesse an Waffenstillständen oder Ähnlichem hätten, weil sie, sollte der Krieg aufhören, ihren Job und ihren hohen Lohn verlieren würden. Wer den Frieden verhindere, das wären die ausländischen und geostrategischen Interessen, die den Krieg weiterhin mit Geld und Waffen befeuern würden. Hier in Deutschland müssten wir die Bundesregierung auffordern, nicht noch mehr Militär und Waffen in die Region zu schicken, sondern die Botschaft in Damaskus wieder aufzumachen, mit der Regierung Kontakt aufzunehmen und friedliche Entwicklungsprojekte zu unterstützen. Karin Leukefeld erhielt viel und langanhaltenden Beifall.
Ihr Referat diente auch nebenbei der Werbung für die neue Auflage ihres Buches „Flächenbrand: Syrien, Irak, die Arabische Welt und der Islamische Staat“, das an dem Abend verkauft und von der Autorin signiert wurde. Es ging reißend weg, weil viele sich gründlicher und über das Gehörte hinaus informieren wollten.
Solidaritätsfoto für Venezela
Nach dem Referat von Karin Leukefeld wurde noch eine kleine Solidaritätsaktion organisiert. Weil am 9. März 2016 Wahlen in Venezela stattfinden, hatte ein Genosse aus diesem Land zwei große Fotos mitgebracht, eins mit dem jetzigen Präsidenten Nicolas Maduro und eins von seinem Vorgänger Hugo Chavez. Es formierte sich eine große Gruppe um diese Fotos, man machte davon unter viel Hallo wieder ein Foto und schickte dann das ganze als Solidaritätsadresse nach Venezuela.
Sönke Hundt
Hat Frau Leukefeld zufällig auch über die inzwischen schon über 45.000 vom Assad-Regime zu Tode gefolterten Oppositionellen ein Wörtchen verloren? Wie positioniert sich dazu denn ein „Nahost-Forum“?