Werner Puschra über den neuen Verteidigungsminister und den Rechtsruck in Israel. Was bedeutet die Ernennung des rechtsnationalistischen ehemaligen Außenministers Avigdor Lieberman zum neuen Verteidigungsminister für Israel?
(Dr. Werner Puschra ist Leiter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Israel.)
Nach der Benennung Avigdor Liebermans als Kandidaten für den Verteidigungsminister erklärte Verteidigungsminister Moshe Ja‘alon seinen Rücktritt. Vorausgegangen waren Meinungsverschiedenheiten zwischen Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und Ja‘alon über die Frage, inwieweit sich hohe israelische Militärs zu moralischen Fragen äußern sollten. Mit der Ernennung Liebermans sind aber vor allem die Chancen auf eine große Koalition, bestehend aus Zionistischer Union und Likud, geplatzt. Eine Regierungsbeteiligung der Arbeitspartei, die Teil der Zionistischen Union ist, erscheint damit für die nächste Zeit unwahrscheinlich.
Lieberman gilt als politischer Hardliner und Befürworter der Siedlungen in den palästinensischen Gebieten. Man kann also mit einem weiteren Rechtsruck der israelischen Regierung rechnen, aber eine völlig neue politische Stoßrichtung wird es nicht geben. Trotzdem wird eine Verschiebung nach rechts spürbar werden, wenn Lieberman die militärische Verantwortung der Besatzung, und damit über rund vier Millionen Palästinenserinnen und Palästinenser, übertragen bekommt. Lieberman war bereits von 2009 bis 2012 und von 2013 bis 2015 Außenminister unter Netanjahu.
Welches Kalkül steckt hinter der Ernennung?
Netanjahus Regierungskoalition kann nur eine hauchdünne Mehrheit von 61 der 120 Knesset-Abgeordneten für sich verbuchen. Das grundsätzliche Problem Netanjahus wird somit schnell klar: Die Machtbasis seines Regierungsbündnisses steht auf sehr wackeligen Beinen. Das Problem wird dadurch verschärft, dass vermehrt kritische Stimmen aus Netanjahus eigener Likud-Partei zu hören sind und selbst das Abstimmungsverhalten der eigenen Parteimitglieder nicht mehr sicher ist. Daher liegt Netanjahus Kalkül darin, seine Machtbasis in der Knesset zu erweitern. Das neue Bündnis mit Lieberman und seiner Partei Israel Beitenu würde die Regierungskoalition um sechs Abgeordnete erweitern. 67 Stimmen sind immer noch eine knappe Mehrheit, aber im Gegensatz zu Isaac Herzog, der nur wenig Rückhalt in seiner Zionistischen Union für einen Regierungsbeitritt hatte, war Lieberman nach kurzen Verhandlungen sofort bereit, das Angebot anzunehmen, und konnte auf die Loyalität seiner Partei zählen. Außerdem lässt sich dieses Bündnis dem rechten Flügel des Likud deutlich besser verkaufen als ein Bündnis mit der Zionistischen Union.
Andere Stimmen sehen die Ernennung Liebermans als einen Schlag gegen das militärische Establishment, da Lieberman selbst keinen hohen militärischen Rang hat. In der Vergangenheit war Netanjahu immer wieder mit Militärkreisen aneinandergeraten, daher kann er die Ernennung Liebermans nun als Schachzug gegen die etablierten Kräfte verbuchen.
Welche Konsequenzen hat Liebermans Einzug ins Kabinett für die Arbeitspartei?
Der Ernennung von Lieberman zum neuen Verteidigungsminister waren intensive Beitrittsverhandlungen mit der Zionistischen Union vorausgegangen, die lange Zeit vom Parteivorsitzenden Isaac Herzog geleugnet wurden. Das Bekanntwerden löste einen offenen Konflikt innerhalb von Fraktion und Partei aus. Die Hauptvorwürfe gegen Herzog sind Intransparenz der Verhandlungen sowie unredliches Verhalten. Des weiteren ist er konfrontiert mit der Kritik, keine echten Zugeständnisse von Netanjahu in den Verhandlungen errungen zu haben, sondern lediglich Ministerposten. Als Hauptargument für einen Beitritt gab Herzog eine reelle Chance für den Friedensprozess mit den Palästinensern an. Auch Stimmen aus dem Ausland setzten sich für eine große Koalition ein: Sowohl Tony Blair und USAußenminister John Kerry als auch der ägyptische Präsident Abdel Fattah el-Sisi riefen zur Einheit der Parteien auf.
Durch diese Entwicklungen haben Herzog und die Arbeitspartei sehr viel Vertrauen und Glaubwürdigkeit bei der Wählerschaft eingebüßt. Laut aktuellen Umfragen würde die Partei deutlich an Boden verlieren und statt derzeit 24 nur noch 11 bis 17 Mandate bekommen. Zudem hat sich innerhalb der Partei der Konflikt um Herzogs Posten als Vorsitzender weiter verschärft. Gewinner wären die Partei Yesh Atid der politischen Mitte, die die Zahl ihrer Sitze verdoppeln könnte (von elf auf 22–24 Sitze) und die linke Meretz-Partei, die auf drei Sitze mehr käme (von fünf auf acht Sitze).
Man hat den Eindruck, in Israel sind es nicht die Politiker, die das Militär im Zaume halten, sondern umgekehrt das Militär die Politiker. Stimmt das?
Der Stellenwert des Militärs in Israel ist im Vergleich mit anderen westlichen Demokratien einzigartig, und gerade die Grenzen zwischen Militär und Zivilgesellschaft sind sehr durchlässig, da jede israelische Familie über den allgemeinen Militär- und Reservedienst eine persönliche Verbindung zu den Verteidigungsstreitkräften hat. In diesem Sinne muss auch die Beziehung von israelischer Armee und Politik betrachtet werden. Denn gemäß des „Israeli Democracy Index“ von 2015 genießt das Militär im Gegensatz zur Regierung ein hohes Vertrauen in der israelischen Bevölkerung (93,4 Prozent im Gegensatz zu 36,2 Prozent).
Das Militär untersteht der zivilen Kontrolle der Regierung, des Ministerpräsidenten und des Verteidigungsministers. Zudem sind auch die Knesset, der Oberste Gerichtshof und die israelischen Medien weitere wichtige Kontrollinstanzen. Dem Militär kommt auch eine Beratungsfunktion bei Regierungsentscheidungen zu. Dies verdeutlicht die horizontale Mobilität zwischen Militär und Politik, die sich darin zeigt, dass Politiker zuvor oft hochrangige Militärs waren. Trotzdem gilt das Militär eher als moderierende Stimme, besonders in Bezug auf die besetzten Gebiete, in denen es tagtäglich operiert. Die Agenda der Konfliktvermeidung hat so immer wieder zu Widerspruch mit der Regierung geführt. Die Instanz des Obersten Gerichts ist hierbei ein maßgeblicher Faktor, da hier immer wieder Fragen zum militärischen Vorgehen, dem Verhalten der Soldaten und der Legitimität der eingesetzten Mittel verhandelt werden.
Wird der Umgang mit den Palästinensern und die Aussichten auf eine Lösung des
Nahost-Konflikts sich weiter verschlechtern? Was sind Ihre Prognosen?
Zunächst muss man festhalten, dass die Grundstimmung in der Bevölkerung und in politischen Kreisen eher negativ ist: In Israel geht keiner davon aus, dass eine Lösung des Nahost-Konflikts unter den gegenwärtigen Bedingungen – vor allem seit Beginn der „Messer-Intifada“ ab Oktober des Jahres 2015 – möglich ist. Der Eintritt Liebermans in die Regierungskoalition wird diese negative Grundstimmung verstärken. Besorgte Stimmen sind aus allen Bevölkerungskreisen zu hören. Besonders arabische Israelis äußern Kritik an Netanjahus Entscheidung.
So betonte Ayman Odeh, der Vorsitzende der vereinigten Liste, dass ein israelischpalästinensischer Dialog mit Lieberman als Verteidigungsminister unmöglich sei. 2017 jähren sich zudem das Ende des Sechstagekriegs und die Besatzung der palästinensischen Gebiete zum 50. Mal. Das Thema wird daher verstärkt in den nationalen sowie internationalen Medien aufgegriffen werden. Die stärkere Beschäftigung mit der Thematik könnte durchaus ein Anreiz für positive Entwicklungen sein. Eine Lösung ist jedoch nur dann möglich, wenn die regionalen Kräfte in den Verhandlungsprozess einbezogen werden beziehungsweise dieser
Prozess von ihnen initiiert wird. Die Arabische Friedensinitiative und die französische Initiative sind zwei mögliche Ansätze, die weiterhin diskutiert werden. Innerhalb dieser Diskussionen sollte es nicht nur um das Westjordanland gehen, auch konkrete Verbesserungen im Hinblick auf die Situation in Gaza sollten verankert werden. Aber eine „Lösung“ des Nahost-Konflikts wird auch damit schwierig bleiben, trotz intensiver Bemühungen israelischer, regionaler und internationaler Akteure um einen Durchbruch. Mit Lieberman ist zu erwarten, dass der Weg zu einer Lösung noch schwieriger wird. Ein anhaltender Stillstand des Friedensprozesses würde die Idee einer Zwei-Staaten-Lösung, für die es immer noch große Sympathien in der israelischen Bevölkerung gibt, in immer weitere Ferne rücken.
Von: Werner Puschra
Veröffentlicht am 30.05.2016
Quelle (mit freundlicher Genehmigung): www.jpg-journal.de