Iris Hefets über Spaltungen und Spannungen in der israelischen Gesellschaft

Iris Hefets ist Jüdin, ist in Israel geboren, hat in der Armee gedient und sich vor 14 Jahren entschlossen, Israel aus politischen Gründen zu verlassen. Sie lebt heute in Berlin.  Übrigens leben immer mehr Israelis dort. Genaue Zahlen existieren nicht, die Schätzungen variieren von 20.000 bis 50.000.

Die vorwiegend jungen Israelis kommen aus unterschiedlichen Gründen: Berlin gilt in Israel als hip; die Lebenshaltungskosten sind im Vergleich mit Tel Aviv oder Jerusalem viel, viel niedriger; die Studiengebühren an den Universitäten tendieren gegen Null; man kann dem drückenden Militärdienst entgehen; 

und mit einem deutschen Pass bekommt man sofort Hartz IV, dazu Integrationskurse und Wohngeld. Viele Israelis haben einen deutschen Pass oder drängen ihre Eltern oder Großeltern, wenn diese aus Deutschland stammen, sich einen deutschen Pass ausstellen zu lassen. Neben den Israelis mit deutschen „Wurzeln“ gibt es eine andere Gruppe mit polnischen, bulgarischen oder rumänischen Pässen, die als EU-Bürger ebenfalls in Berlin leben und arbeiten können. Iris Hefets nannte einen weiteren wichtigen Grund dafür, Israel zeitweilig oder für immer zu verlassen: homosexuelle Paare oder Paare mit verschiedener Religionszugehörigkeit, die heiraten wollen, da es eine zivile Ehe in Israel bekanntlich nicht gibt. 

Anette Klasing begrüßte den Gast

Politisch engagiert sind nur wenige der jungen Israelis in Berlin. Aber das Engagement nimmt zu, z.B. in der sehr israel-kritischen „Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost“ oder in der neu gegründeten Initiative „Salam-Shalom“, die sich dem Dialog zwischen Juden und Muslimen widmet und so dem in Israel verbreiteten Hass gegen Araber entgegen wirken will. 

Frau Hefets sprach deutsch mit einem leichten Akzent. Für die ca. 60 Anwesenden wurde es ein faszinierender Abend. In die Villa Ichon eingeladen hatten verschiedene Bremer Organisationen (AK Nahost, Deutsch-Palästinensische Gesellschaft DPG, Israeli Comitee Against House Demolitions ICAHD, Bremer Friedensforum, Bremer Informationszentrum für Menschenrechte und Entwicklung biz). Anette Klasing hatte die Begrüßung und Detlef Griesche übernommen.

 

Blick in den Saal

Frau Hefets gab in ihrer freundlichen und zurückhaltenden Art zu erzählen einen faszinierenden Einblick in die Spaltungen und Spannungen innerhalb der israelischen Gesellschaft. Sie selbst stammt aus einer Familie mit einem marokkanischen (Mutter) und russischen (Vater) Hintergrund und konnte aus eigener Erfahrung von den vielfältigen Diskriminierungen berichten, mit denen Israelis mit einem arabischen Hintergrund zu kämpfen haben.

 
Hierzulande ist wenig bekannt, dass die Juden mit einem europäischen Hintergrund (Ashkenasi) in Israel in der Minderheit sind. 40 Prozent der Israelis stammen aus Europa, 40 Prozent aus arabischen oder vorwiegend arabischen Ländern (Syrien, Irak, Libanon, Jemen, Ägypten, aber auch Marokko, Tunesien und Algerien); und 20 Prozent der Bevölkerung sind Palästinenser.
 
Als die Familie Hefets aus Marokko nach Israel kam, kamen sie mit ihren arabischen Traditionen: Sprache, Musik, Essen & Trinken, das Familienleben, Feiern, die Art zu wohnen usw. usf. waren arabisch geprägt. Als man es noch konnte, sei es für ihre Mutter selbstverständlich gewesen, auf dem (arabischen) Markt in Gaza einzukaufen. Als sie als Kind in die Schule gekommen sei und später beim Militär und beim Studium hätte sie schnell lernen müssen, dass ihre Sprache und ihre Kultur nichts galten. Schlimmer noch: die Araber seien die Feinde Israels, die es vernichten wollten. Man müsse sich, so Frau Hefets, ein Kind vorstellen, dass in den Kindergarten komme und nicht mehr arabisch sprechen solle, ja sogar lernen müsse, dass das die Sprache des Feindes ist.
 
Die meisten der arabischen Juden oder der jüdischen Araber hätten sich sehr angepasst verhalten und versucht, sich schnell in die israelische Gesellschaft zu integrieren. Aber es hätte auch andere Strömungen gegeben: z. B. die teilweise sehr aktive Black-Panther-Bewegung. Sie wäre aber bald wieder neutralisiert worden.
 
Iris Hefets ist Psychoanalytikerin und ging auch auf das ein, was die Gesellschaft in Israel mit den Seelen der Menschen anstellt. Wie der Druck der Anpassung die Angst schürt, zu Depressionen aber auch zu aggressiven Einstellungen führt. Frau Hefets erzählte – immer interessant und spannend und mit eigenen Erfahrungen garniert – aus dem Leben in der Schule, der Universität und nicht zuletzt dem Militär. Die Diskriminierung wäre allgegenwärtig und der Hass gegen alles Arabische würde zunehmen. Es herrsche vor allem unter den Siedlern aber auch in der politischen Elite, die weitgehend ashkenasisch geprägt sei, teilweise ein Rassismus gegen alles Arabische von einer Radikalität wie er in Europa unvorstellbar sei.
 
Das Referat und Teile der Diskussion sind anzuhören und zu sehen auf einem youtube-Mitschnitt (60 Minuten) der gesamten Veranstaltung.
Sönke Hundt
 

 

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