Hannah Arendt zu „Die Krise des Zionismus“

Hannah Arendt. (cc creative commons)

Wütend und bitter beklagte die vor den Nazis in die USA geflüchtete politische Denkerin Hannah Arendt im Herbst 1945, dass die Amerikanische Zionistische Organisation sich 1944 von der bisherigen politischen Linie abkehrte und stattdessen das Programm Ben Gurions akzeptierte: das Ziel eines jüdischen Staates, der ganz Palästina umfassen solle. Arendt sah dies, in Vorausschau dessen, was 1947/48 geschah, als Katastrophe für den Zionismus an; sie schrieb:

»Dies ist ein Wendepunkt in der Geschichte des Zionismus; denn es besagt, dass das revisionistische Programm, das so lange scharf zurückgewiesen wurde, nun am Ende siegreich ist … Dieses Mal sind die Araber in der Resolution einfach nicht erwähnt worden, was ihnen­ offensichtlich die Wahl lässt zwischen freiwilliger Auswanderung und Bürgerrechten zweiter Klasse …

Dies ist ein Todesstoß gegen diejenigen jüdischen Parteien in Palästina selbst, die unermüdlich die Notwendigkeit einer Verständigung zwischen dem arabischen und dem jüdischen Volk predigten … Nationalismus ist schlimm genug, wenn er auf nichts anderes baut als auf die bloße Stärke der Nation. Ein Nationalismus, der notwendigerweise und zugegebenermaßen von der Stärke einer auswärtigen Nation abhängt, ist gewiss noch schlimmer … Die Errichtung eines jüdischen Staats … mag als sehr hübsche Lösung erscheinen … Auf lange Sicht kann man sich kaum eine Entwicklung vorstellen, die gefährlicher und abenteuerlicher wäre … Nur Torheit kann eine Politik vorantreiben, die auf den Schutz einer entfernten Weltmacht vertraut, während sie sich dem Wohlwollen der Nachbarn entfremdet … Welches Programm haben Zionisten für die Lösung des arabisch-jüdischen Konflikts zu bieten? … Wenn Zionisten auf ihrer sektiererischen Ideologie beharren und in ihrem kurzsichtigen ‚Realismus‘ fortfah­ren, dann werden sie auch die kleinen Chancen verspielen, die kleine Völker in dieser unserer nicht sehr schönen Welt heute noch haben.«[1] (Einleitung und Übersetzung von Rolf Verleger)

[1] Original in Englisch: »This is a turning point in Zionist history; for it means that the Revisionist program, so long bitterly repudiated has proved finally victorious … This time the Arabs were simply not mentioned in the resolution, which obviously leaves them the choice between voluntary emigration and second-class citizenship.« (213) »It is a deadly blow to those Jewish parties in Palestine itself that have tirelessly preached the necessity of an under­standing between the Arab and the Jewish peoples«. (214) »Nationalism is bad enough when it trusts in nothing but the rude force of the nation. A nationalism­ that necessarily and admittedly depends upon the force of a foreign­ nation is certainly worse.« (215) »The erection of a Jewish state … may look like a very nice solution … In the long run, there is hardly any course imaginable that would be more dangerous, more in the style of an adventure. (247) … only folly could dictate a policy which trusts a distant imperial power for protection, while alienating the goodwill of neighbors … what program have Zionists to offer for a solution of the Arab-Jewish conflict? (248) … If Zionists persevere in retaining their sectarian ideology and continue with their short-sighted ‚realism‘ they will have forfeited even the small chances that small peoples still have in this none too beautiful world of ours.« (249)
aus: Arendt (1945, 1970). Arendt, Hannah. Zionism Reconsidered. Original 1945 (soweit ich weiß in einer Zeitschrift namens „Menorah“ (= der Leuchter). Hier zitiert aus: Selzer, 1970, pp. 213-249. Selzer, Michael (Hrsg.): Zionism Reconsidered: The Rejection of Jewish Normalcy. The Macmillan Company, New York, 1970.


Die angeführte Stelle ist auch auf deutsch erschienen. In dem Artikel „Es ist noch nicht zu spät“. In: Hannah Arendt, Die Krise des Zionismus. Essays & Kommentare 2, Hg. von Eike Geisel und Klaus Bittermann, Berlin: Tiamat Verlag 1989, 83-106, hier 97f. Ursprünglich als „To Save the Jewish Homeland: There Is Still Time“, in: Commentary Nr. 5, Mai 1948, 398-406.

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