Amos Oz: „Nach Kriegsende hatte ich eindeutig das Gefühl, dass es mit dem Sechstagekrieg nicht zu Ende sein würde“

Amos Oz ist einer der einflussreichsten israelischen Schriftsteller. Er ist Mitbegründer von Peace Now; seine Bücher wurden in 37 Sprachen übersetzt. Noch im Jahre 1967 – nach dem Sechstagekrieg – schrieb er (zusammen mit Avraham Shapira) das Buch „Gespräche mit israelischen Soldaten“, das die israelische Gesellschaft aufrüttelte und ganz maßgeblich zu ihrer Spaltung beitrug. Das Buch ist 2017 im Westend-Verlag in einer neuen Ausgabe mit einem neuen Titel erschienen: „Man schießt und weint“.

Hier einige Auszüge aus dem neuen Vorwort von Amos Oz:

»Ich habe noch während der Kämpfe auf dem Sinai geahnt, dass dieser Sieg zum Fundament des tiefen Hasses gegen Israel werden würde … Ich wusste, dass sie unseren Sieg und ihre Demütigung uns nicht einfach vergeben würden.« Sich erinnernd an die Zeit, als über sein Buch in der israelischen Gesellschaft gestritten wurde, beklagt er für heute »mehr Gleichgültigkeit, mehr Stumpfheit. Was derzeit in den besetzten Gebieten geschieht, überschreitet zuweilen die Grenze zu Kriegsverbrechen, aber es berührt niemanden.« […]

„In Hulda fiel ein Sohn, ein Fallschirmspringer. Nachdem ich vom Krieg zurückgekehrt war, ging ich zu seinen Eltern. Einige Freunde waren da. Die Mutter weinte. Der Vater biss auf seinen Lippen herum. Jemand von den Alten versuchte, sie zu trösten, und sagte: »Schaut, wir haben doch, trotz allem, Jerusalem befreit … Er ist doch nicht umsonst gefallen.« Da brach die Mutter in Heulen aus und schrie: »Die ganze Westmauer ist mir nicht einen Fingernagel von Micha wert.« Wenn du mir sagen würdest, dass wir um unsere Existenz kämpften, dann hatte sein Opfer einen Sinn. Wenn du mir aber sagst, wir hätten um die Mauer gekämpft, dann nicht. Verflixt, ich habe eine Beziehung zu diesen Steinen … doch es sind nur Steine. Und Micha war ein Mensch. Und wenn man heute die Westmauer mit Dynamit sprengen würde und dies Micha wieder lebendig machte, dann würde ich sagen: »Sprengt!« […]

„Wir haben Jerusalem befreit, wir haben die heiligen Stätten befreit, wir sind dabei zu ignorieren, dass es in den besetzten Gebieten einen besiegten Feind gab, dass die Gegend nicht leer war, sondern dort Millionen Menschen lebten, die von uns vergessen wurden, weil sie Araber waren.Ich kann mich erinnern, dass während unserer Besuche für Gespräche mit israelischen Soldaten heiß diskutiert wurde und die Debatten oft bis in die Nacht andauerten.“ […]

„In der Zeit nach dem Krieg war ich davon überzeugt, dass man uns die Gebiete innerhalb weniger Wochen wieder wegnehmen würde. Die Großmächte würden kommen und die eroberten Gebiete annektieren. Die fanatischen Rufe nach einer Annexion der Westbank, der Golanhöhen und von Gaza sind sicher nur hysterisches Geschrei, dachte ich. Doch ich hatte mich geirrt. Zwar weiß ich, dass damals im ganzen Land eine Bewegung entstanden ist, an deren Spitze große Namen standen, Schriftsteller und Staatsmänner – Menschen, die ich respektiere und verehre. Doch ich konnte nicht verstehen, wieso diese Menschen glaubten, dass die eroberten Gebiete leer seien? Glaubten sie wirklich, dass wir allezeit über mehr als eine Million Palästinenser herrschen könnten und dass sie unsere Herrschaft akzeptieren würden? Vergaß man etwa die Lehren, die wir unter der britischen Herrschaft gelernt hatten, als wir uns gegen die Fremdherrschaft erhoben hatten? Die Geschichte lehrt uns, dass es keine Besatzung gibt, die nicht auf dem Schwert sitzt. Über diese Ignoranz gegenüber den Lehren der Vergangenheit habe ich mich damals sehr gewundert.Ich freue mich über dieses Buch – freue mich, dass es existiert. Ich freue mich, dass diese Stimme aufbewahrt worden ist, doch ich befürchte, dass ihre Botschaft heute in Vergessenheit gerät.Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass jede Besatzung ein Fluch ist. Ich denke, dass das, was mit uns passiert ist nach dem Sechstagekrieg – die Besatzung und die Gier nach mehr (weiteren Siedlungen, um genauer zu sein) –, ich denke, dass dies das größte Unrecht ist, das der Zionismus gebracht hat, und gleichzeitig sein größter Fehler.“

(Aus dem Hebräischen übersetzt von Abraham Melzer)

 

 

 

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