50 Jahre der Okkupation haben latente Vorurteile und alte Stereotype nicht nur gegen Juden, sondern auch gegen Araber und Muslime wieder aufgeweckt. Aber noch immer leugnen viele, dass Israels immer gewaltsamere Kontrolle ein entscheidender Faktor ist. von Tony Klug, in Haaretz v. 30. Juli 2017
Eines der ursprünglichen Ziele des Zionismus war die Normalisierung der Beziehungen zwischen Juden und anderen Völkern. Welche tragische Ironie wäre es, wenn die Politik des Staats, den er schuf, stattdessen den Antisemitismus normalisierte?

Dass es in den letzten Jahrzehnten einen alarmierenden Anstieg antijüdischer Gefühle gegeben hat, besonders in der arabischen und in der muslimischen Welt, daran besteht kein Zweifel. Was umstritten ist, ist der Grund. Das hier war zusammengefasst, als junger Forscher, Mitte der 1970-er meine Auslegung:
Während Israel weiterhin über die West Bank herrscht, wird es immer häufigere Akte des Widerstands durch eine Bevölkerung geben müssen, die sich immer entrechteter fühlt durch ein sich ausbreitendes Muster jüdischer Kolonisierung und die sich nach Unabhängigkeit sehnt.

Solange Israel das Gebiet weiterhin regiert, wird es kaum eine andere Chance haben, als immer gewalttätiger zu reagieren, um auch nur Ordnung zu bewahren. Die moralische Anziehungskraft Israels wird in der Folge darunter leiden, und das wird das Maß an internationaler Unterstützung weiter aushöhlen, wohl aber nicht unter der organisierten Meinung der jüdischen Diaspora.

Diese sich verschärfende Polarisierung muss zu einem steilen Anstieg in offenem Antisemitismus führen. Ich unterstelle nicht, dass dies die ganze Geschichte ist. Aber sie ist ein entscheidender Teil davon. Wachsende antijüdische Gefühle in der arabischen und muslimischen Welt ist nur eine Seite der Gleichung.

Die andere Seite ist die damit einhergehende Erscheinung der wachsenden anti-arabischen und anti-muslimischen Gefühle in der jüdischen Welt. Außerdem ist das Gift dieses Konflikts in andere Gebiete des Globus übergeschwappt und hat in einigen Fällen latente Vorurteile gegen Juden, Muslime und Araber angefacht, alte Stereotype jüdischer Gerissenheit und Macht auf der einen und bedrohlichen muslimischen Horden auf der anderen Seite wiedererweckt.

Das gleichzeitige Anwachsen dieser Phänomene ist kein Zufall. Das eine nährt das andere. Also müssen sie nicht isoliert voneinander, sondern zusammen betrachtet werden. Aber diese Trends sind nicht einheitlich gewesen. Während der „Oslo-Jahre“ der 1990-er wurde die politische Kultur eine Zeitlang transformiert. Neue Freundschaften wurden über die Kluft hinweg geschlossen, und Israel Kurs in der arabischen Welt und weltweit schoss in die Höhe. Es gab einen deutlichen Abschwung antisemitischer Vorfälle. Davor, der Friedensinitiative Präsident Sadats 1977 folgend, waren die geistlichen Führer Ägyptens aufgefordert worden, diejenigen Teile des Korans herunterzuspielen, die schlecht von den Juden sprachen, und jene Teile zu betonen, die Muslim dazu aufriefen, mit den Juden Freundschaft zu schließen. Israelische Botschaften hörten damit auf, Literatur zu verbreiten, die Präsident Sadat als Nazi-Sympathisant beschrieben.

Ich erwarte nicht, dass ich mich nach weiteren 40 Jahren erneut schamlos selbst zitieren werden, aber da die Leidenschaften weiter steigen, ist es keine Geheimwissenschaft vorherzusehen, dass es einen weiteren sprunghaften Anstieg antisemitischer Gefühle geben wird, wenn Israel seine Okkupation nicht beendet und die organisierte jüdische Meinung in anderen Ländern sie vermeintlich weiterhin offen unterstützt – potentiell noch gefährlichere Impulse verursachend.

Jahrhundertelang entstellte Antisemitismus das Gesicht europäischer Länder. Dieser „besondere und auffällige Judenhass“, hatte nach dem Veteran der Geschichte Professor Bernard Lewis (in seinem Artikel „Antisemitismus in der arabischen und muslimischen Welt“ von 1985), seine „Ursprünge in der Rolle, die den Juden in bestimmten christlichen Schriften und Vorstellungen“. Im Gegensatz dazu „existierte in diesem speziellen Sinn Antisemitismus in der traditionellen islamischen Welt nicht“. Während Juden „niemals frei von Diskriminierung waren“, waren sie „nur gelegentlich Gegenstand der Verfolgung“. Der jüngere „Antisemitismus europäischer Ausprägung“, merkte er an, wurde durch den israelisch-arabischen Konflikt ausgelöst und verstärkte sich nach dem Krieg von 1967.

Angesichts seiner Geschichte, überrascht es kaum, dass latente antijüdische Gefühle weiter in Teilen der europäischen Zivilgesellschaft schwelten, sei es am rechten Rand, in der Mitte oder am linken. Im Vereinigten Königreich wurden Anschuldigungen des Antisemitismus‘ gegen Mitglieder der Labour-Partei Jeremy Corbyns gemacht – eine aus echter Sorge, einige dubios und einige offenkundig erfunden.

In anderen Ländern, einschließlich der USA, hat es jüngst ebenfalls Fälle antisemitischer Vorurteile gegeben, einige böswillig, einige leichtfertig und einige aus Dummheit oder Verwirrung. Handlungen, die nicht antisemitisch inspiriert sind, können antisemitisch wirken, wie z. B. der Ausschluss jüdischer Frauen mit dem Davidstern vom Chicagoer Dyke-Marsch im Juni. Um die wichtige Unterscheidung treffen zu können, müssen wir in jedem Fall die Beweise überprüfen.

Ein Bekannter merkte kürzlich mir gegenüber an: „Ich dachte, ein Antisemit sei jemand, der Juden hasse, nicht jemand, den die Juden hassten.“ Der Fall Jeremy Corbyns ist bezeichnend: Verabscheuen ihn einige jüdische Kreise, weil er angeblich ein Antisemit ist (wofür es wirklich keinen Beweis gibt) oder weil sein Bekenntnis zu Prinzipien der Menschenrechte nicht an der palästinensischen Türschwelle aufhört?
Wie alle Formen von Rassismus, ist der Antisemitismus monströs, aber falsche oder übertriebene Behauptungen können auch grotesk sein – und kontraproduktiv. Sie setzen nicht nur die Anschuldigung herab, sondern bringen gleichzeitig die Gefahr mit sich, schamlosen Antisemitismus dann nicht zu erkennen, wenn er uns ins Gesicht starrt Menschen, welche Juden in den letzten Jahren nicht mit der Zange angefasst hätten, werden heute von der israelischen Regierung und von einigen Pro-Israel-Gruppen im Ausland gefeiert.

Rechte pro-zionistische evangelikalische christliche Gruppen in den USA, deren Konzept der „Entrückung“ am Ende alle Juden konvertiert oder vernichtet sehen würde, sind nicht die einzigen. Bekannte ungarische, polnische und lettische Antisemiten sind hofiert worden, weil sich ihre politischen Parteien im Europäischen Parlament auf Israels Seite stellen. In diesen und anderen Fällen wird die angebliche Unterstützung für Israel oder israelische Handlungen dafür genutzt, die Anschuldigung des Antisemitismus abzuwehren – sogar für begeisterte Antisemiten mit Verbindungen zu Neonazis oder mit einer Geschichte der Holocaustleugnung.
Das alles soll nicht bedeuten, dass Antizionismus oder Feindseligkeit gegenüber Israel in der weiten Welt nicht manchmal als Mantel des Antisemitismus verwendet wird oder, in manchen Fällen, dass sie nicht von ähnlichen Regungen stammt. Aber dies rechtfertigt nicht das Zusammenwerfen von wirklichen Antisemiten mit den wirklichen Opfern der gewalttätigen israelischen Politik und ihren Streitern, während den demonstrativ „pro-israelischen“ Antisemiten freie Fahrt gewährt wird.

Die Sehnsucht, die Beziehungen zwischen Juden und anderen Völkern zu normalisieren, muss erst noch erfüllt werden. Der eine wichtigste Schlüssel ist heute die Beendigung der israelischen Okkupation ohne weitere Ausreden und die Einigung auf eine faire Beilegung des Konflikts mit den Palästinensern und der arabischen Welt, solange es die Gelegenheit noch gibt.

Ton Klug schreibt seit 45 Jahren umfangreich zu israelisch-palästinensischen Themen. Er ist Sonderberater zum Nahen Osten in der Oxford Research Group und dient als Berater der Palestine Strategy Group und des Israel Strategic Forum. Er war viele Jahre führender Vertreter von Amnesty International, wo er das Internationale Entwicklungsprogramm leitete. Dieser Artikel basiert auf einem umfassenderen Gespräch während der Pears Internationalen Konferenz zu Zionismus und Antisemitismus am Birkbeck College, Universität London, im Mai 2017.

Quelle: http://www.haaretz.com/opinion/.premium-1.803741

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Ein Gedanke zu „

  1. Tatsächlich sagt Moshe Zuckermann, dass der Zionismus und die derzeitige israelische Politik den Antisemitismus brauchen und ihn geradezu befördern.
    https://www.youtube.com/watch?v=6IXGGiXstxc
    Nicht umsonst wird inzwischen jede Kritik an israelischer Besatzungspolitik als antisemitisch bezeichnet und nicht umsonst werden immer häufiger Veranstaltungen mit selbst israelischen Kritikern dieser Politik und mit Palästinensern, die deren Sicht auf die Geschichte und die derzeitige Lage erörtern wollen, verboten, abegsagt, Räume gekündigt. Dies initiiert von einer hysterischen antideutschen Truppe im Verbund mit konservativen jüdischen Organisationen, die Vermieter, Veranstalter und Organisatoren unter einen diffamierenden Druck setzen, der immer deutlicher Züge einer Hexenjagd annimmt.

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