Juden sollen Antisemiten sein

Stadt Frankfurt (Main) erklärt, Israel-Boykottkampagne BDS bediene sich Nazimethoden
Von Simon Zeise

Die Stadt Frankfurt am Main hat ein Verbot für Veranstaltungen der Palästina-Solidaritätskampagne »Boycott, Divestment, Sanctions« (BDS) verhängt. Die Forderung nach dem Boykott israelischer Waren aus besetzten palästinensischen Gebieten sei »antisemitisch«, hatte der Magistrat am vergangenen Freitag erklärt: »Die BDS-Bewegung nutzt mit ihren Botschaften die gleiche Sprache, die einst Nationalsozialisten gebrauchten, um auszudrücken: ›Kauft nicht bei Juden!‹« Sie wähle »mit ihrer tief in das Fundament der Legitimation des jüdischen Staates reichenden Kritik an Israel den Umweg über den Antizionismus, um beim Antisemitismus anzukommen«.

Ist Kritik an Israel antisemitisch? Shir Hever, der sich bei BDS engagiert, erklärte gegenüber jW, BDS richte sich gegen die Politik des Staates Israel, nicht gegen Juden. »Tausende Juden überall in der Welt unterstützen die BDS-Kampagne – und ich bin einer davon.«

Die Vorlage der Erklärung der Stadt Frankfurt stammt von dem Bürgermeister für Finanzen, Beteiligungen und Kirchen, Uwe Becker (CDU). Er ist Ehrenpräsident der Deutsch-Israelischen-Gesellschaft Frankfurt und gehört als »Familiare« dem Deutschen Orden an – einer Organisation, die sich als Rechtsnachfolger der Kreuzritter sieht. Dass sich auch Juden bei BDS engagieren, ändere an der Haltung der Stadt nichts, erklärte eine Sprecherin Beckers auf jW-Nachfrage am Mittwoch: »Nein, der Vergleich ist völlig berechtigt. Die BDS-Bewegung nutzt antisemitische Stereotype, wie sie einst Nationalsozialisten gebrauchten.« Zudem übe die Organisation weltweit starken Druck auf Künstler, Einzelhändler etc. aus und greife »in die Legitimation Israels« ein.

Hever findet die Entscheidung »skandalös«. Sie sei »ein Angriff gegen die Meinungsfreiheit«. Menschenrechtsaktivisten und Friedensaktivisten hätten das Recht, gewaltfrei »Maßnahmen gegen Besatzung, Kolonialismus und Apartheid« durchzuführen.

BDS fordert von der israelischen Regierung das Ende der Annektierung und Kolonisierung des arabischen Landes und den Abbau der Mauer in der Westbank sowie die völlige Anerkennung arabisch-palästinensischer Bürgerrechte. Zudem müsse Israel das Rückkehrrecht geflohener Palästinenser anerkennen, das in der verabschiedeten UN-Resolution 194 geregelt ist, erklären die Aktivisten auf ihrer Homepage bdsmovement.net. Um diese Ziele zu erreichen, üben sie politischen und wirtschaftlichen Druck aus. Kampagnen richten sich gegen international tätige Konzerne. Darunter befindet sich der IT-Multi Hewlett-Packard: Das US-amerikanische Unternehmen spiele eine Schlüsselrolle bei der Bereitstellung von Technologien, die Israel gegen die palästinensische Bevölkerung einsetze, erklärt BDS. Weltweit unterstützen Künstler, Wissenschaftler, Gewerkschafter und Politiker die Organisation, darunter der britische Labour-Vorsitzende Jeremy Corbyn, die im kalifornischen Berkeley Philosophie lehrende Professorin Judith Butler und die kanadische Publizistin Naomi Klein. Auch der israelische Historiker Ilan Pappe, der an der britischen Universität Exeter lehrt, unterstützt die Bewegung. Gegenüber jW erklärte Pappe, Ziel sei es, die Unterdrückung der Palästinenser der vergangenen 100 Jahre zu beenden. Der Vorwurf des Antisemitismus sei aus mehreren Gründen »absurd«. Erstens fühlten sich viele Juden aufgrund ihrer jüdischen Identität und ihrer Geschichte verpflichtet, der unterdrückten palästinensischen Bevölkerung zu helfen. Und zweitens handele es sich um ein »antirassistisches« Bündnis: Die Rechte der Palästinenser müssten im selben Maße respektiert werden wie die der jüdischen Bevölkerung in Israel. Es sei ein »trauriger Tag«, wenn in Deutschland das Engagement antirassistischer Gruppen wegen falscher Anschuldigungen und Propaganda verboten würde.

Quelle (mit freundlicher Genehmigung): junge Welt v. 01.09.2017

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