Der Bundestag hat am Donnerstag, 18. Januar 2018, bei Enthaltung der Linken einen gemeinsamen Antrag von CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen (19/444) beschlossen, wonach der Antisemitismus entschlossen bekämpft werden soll. Darin wird jede Form von Judenfeindlichkeit verurteilt. Das umfasse auch alle antisemitischen Äußerungen und Übergriffe, die als „vermeintliche Kritik an der Politik des Staates Israel formuliert werden, tatsächlich aber einzig und allein Ausdruck des Hasses auf jüdische Menschen und ihre Religion“ seien.
Der Bundestag reagiert damit auf die Verbrennung einer israelischen Fahne am Rande einer Demonstration im Dezember 2017 in Berlin und unterstellt damit einen eindeutigen Zusammenhang zwischen Kritik an Israels Politik und Antisemitismus. Diesen Zusammenhang unterzieht der Schriftsteller David Ranan in seinem Gastbeitrag in der Süddeutschen Zeitung vom 20. Januar einer kritischen Bewertung. Ebenso empfehlen wir zu diesem Thema den Beitrag von Prof. Neve Gordon (Ben-Gurion Universität Be’er-Sheva) im London Review of Books vom 4. Januar.
Umfragedaten zeigen, dass das Ressentiment gegen Juden in der deutschen Bevölkerung weit geringer ist als gegen Muslime (Antisemitismusbericht 2017, S.69). Umgekehrt wächst bei Muslimen das Ressentiment gegen Juden aus dem Zorn über Israels Politik und als Spiegelbild des Ressentiments der Mehrheitsbevölkerung (ebda., S.79ff.). Die Einrichtung des/der Antisemitismusbeauftragten wird dieses Gefühl der Muslime, nicht respektiert zu werden, nicht vermindern, sondern leider eher verstärken. Nötig wäre ein*e Antirassismusbeauftragte*r. (BIB Aktuell #3: Antisemitismusbeauftragter)
Susan Witt-Stahl und Moshe Zuckermann
In der jungen Welt v. 22.01.2018 interviewt Susan Witt-Stahl den israelischen Soziologen Moshe Zuckermann und fragt:
„Mit der Resolution wurden auch die Grundlagen geschaffen, Israel-kritische und antizionistische Juden wie Esther Bejarano im Täterland als Kriminelle zu ächten. Ist sie damit nicht objektiv eine von oben abgesegnete Maßnahme zur »Entsorgung« der deutschen Schande?“
Moshe Zuckermann: „Gewiss lässt sich sagen, dass der hysterische Umgang mit »Antisemitismus« in Deutschland allgemein – und offenbar auch innerhalb seiner politische Klasse – darauf hinweist, dass die Aufarbeitung der Vergangenheit noch lange nicht in dem Maße stattgefunden hat, wie man sich ihrer rühmt. Ein Element der Schuld regt sich da, und es deutet sich in ihm ein latentes antisemitisches Ressentiment an, und zwar gerade bei denen, die den Antisemitismus-Vorwurf überschüssig und am lautstärksten erheben.“ (das vollständige Interview hier)
Uli Gellermann meint:
„Da die Mütter und Väter des neue Manifestes zum Antisemitismus zur Begründung nur ideologisches Geschwurbel anbieten, ist man auf begründete Vermutungen zur Beantwortung der Fragen angewiesen.
Ganz sicher soll diese innenpolitische Maßnahme die deutsche Außenpolitik gegenüber Israel zementieren. Jene ziemlich bedingungslose Treue einem Staat gegenüber, der eine aggressive Haltung gegen seine Nachbarn einnimmt. Einem Staat, dessen atomare Bewaffnung zumindest seinen iranischen Konkurrenten im Nahen Osten gefährlich bedroht. Einem Staat, der im Inneren eine Sorte der Apartheid pflegt, die weder den internationalen Menschenrechten entspricht, noch auf die friedliche Lösung des Nah-Ost-Konfliktes orientiert. Ebenso sicher dient dieser neue Beauftragte auch der Legitimierung der permanenten deutschen Rüstungs-Exporte nach Israel. Von den vielen Kleinwaffen, die im israelischen Krieg gegen die Palästinenser Verwendung finden, bis zu U-Booten und Korvetten für die israelische Marine, die den Großmachtansprüchen der Israelis dienlich sind.
Der Antisemitismus-Beauftragte wird in Wahrheit ein moralisch maskierter Israel-Beauftragter sein. Ein Funktionär, der für das Gehalt eines Staatssekretärs die Existenz des modernen deutschen Staates nicht aus dem Verbrechen des Zweiten Weltkriegs erklären soll, sondern ihn primär auf das Verbrechen des Holocaust zurückführt. Das umgeht das Friedensgebot des Grundgesetzes, das blendet die Frage aus, ob sich denn ein Verursacher des Zweiten Weltkrieges an diversen Kriegen in anderen Ländern beteiligen darf, das veredelt eine militarisierte Außenpolitik und formiert das Land auch im Inneren: „Wir sind sind die GUTEN, soll der Beauftragte akzentuieren. Wir haben aus unserer Schuld gegenüber den Juden gelernt. Dass es noch andere Opfer gibt, soll die deutsche Öffentlichkeit nicht wissen.
Was fehlt ist nur noch der Name des hohen Beauftragten. Fraglos drängt sich Henryk M. Broder, der Kasper der Israel-Rundum-Verteidigung auf. Von Broder stammt der zynische Satz „Verglichen mit dem Warschauer Ghetto ist Gaza ein Club Méditerranée.“ Von dieser mörderischen Position ist der Schritt zum Vergeltungs-Terror nicht mehr weit weiß Broder: „Die Idee, man könnte dem Terror nur mit rechtsstaatlichen Mitteln beikommen, übersteigt die Grenze zum Irrealen.“ Broder hätte auf alle Fälle den Vorteil, dass der ganze romantische Klimbim um den neuen Job auf seinen Wesensgehalt geführt würde: Wer nicht für Israel ist, der ist ein Feind.“ (der vollständige Text hier)