Bei dem Versuch, den Mord an Mohammed Abu Khdeir aus Shoafat, einem von Muslimen bewohnten Stadtteil Jerusalems, zu verstehen, klagt heute die israelische Tageszeitung „Ha’retz“ den gerade unter jungen Israelis verbreiteten Rassismus gegenüber Palästinensern an. Der Rassismus wuchere in der israelischen Gesellschaft wie ein Krebsgeschwür. Zehntausende seien infiziert. In den letzten Tagen hätte es jede Menge an Aufrufen zu Gewalt und Rache für die drei ermordeten Talmud-Studenten gegeben. Es läuft einem kalt den Rücken runter, wenn man in einige der Facebook-Kampagnen hineinsieht. Eine Gruppe mit dem Namen „The people of Israel demand revenge“ hatte inerhalb von zwei Tagen über 35.000 Mitglieder, viele von ihnen Soldaten. Viele schickten Fotos von sich. Zwei lächelnde weibliche Teenager z.B. umarmen sich und halten ein Stück Papier hoch mit der Aufschrift: “Hating Arabs is not racism, it’s values.”
Am 3. Juli 2014 nun hat das israelische Erziehungsministerium in einer öffentlichen Erklärung zu „Verantwortung, Zurückhaltung, Toleranz und Vertrauen in die Behörden“ aufgerufen. „Wir alle“, so heißt es in der Erklärung, „tragen Verantwortung dafür, dass jeder Aufruf zur Hetze und zur Gewalt vermieden wird.“ Allerdings: der Name des Erziehungsministers Shay Piron fehlte auf der Erklärung seines Ministeriums. Das Mitglied der Regierung Netanyahu hatte es vorgezogen, den Aufruf zur Toleranz nicht zu unterschreiben. Die Zeitung Ha’aretz kommentierte diese Tatsache so: „Dieser durchaus ‚mutige Aufruf‘ zur Zurückhaltung und Toleranz stammt also aus einer anonym bleibenden Quelle des Erziehungsministeriums, so als ob hier ein gefährliches Leck existierte und irgendjemand noch dafür bestraft werden könnte. Der Aufruf war ein Akt der Feigheit, weit entfernt davon, in dieser Situation pädagogisch Rückgrat zu zeigen“.
Dass Shay Piron und das Erziehungsministerium, so fährt der Bericht von „Ha’aretz“ fort, ihrer Verantwortung gegen den grassierenden Rassismus unter Jugendlichen nicht nachkommen, wäre nichts Neues. Im November 2013 war eine Gruppe von jungen Israelis vor dem Jerusalem District Court angeklagt worden, weil sie Araber tätlich angegriffen hatten. Einen Monat später hatten Dutzende von israelischen Studenten an die Haustüren im muslimischen Viertel von Jerusalems Altstadt gehämmert und gerufen „Zerstört die Saat von Amalek“, „Der Tempel wird wieder errichtet, die Moschee wird abgebrannt!“, „Mohammed ist tot“ und „Tod den Arabern“ (“Destroy the seed of Amalek,” “The Temple will be rebuilt, the mosque burned,” “Mohammed is dead,” and “Death to Arabs.”). In beiden Fällen hätte das Erziehungsministerium es vorgezogen, die Augen zu verschließen und nicht zu reagieren.
Nurit Peled-Elhanan: „Palestine in Isreali Schoolbooks. Ideology and Propaganda in Education“
Der Rassismus unter Jugendlichen kommt nicht von ungefähr. Nurit Peled-Elhanan, Literaturwissenschaftlerin und Professorin an der Hebräischen Universität in Jerusalem, hat 2012 ein Buch („Palestine in Israeli School Books. Ideology and Propaganda in Education“) veröffentlicht, in dem sie mehr als 20 aktuelle Schulbücher für Geografie und Geschichte, die sowohl in staatlichen als freien (von Ultra-Orthodoxen geführten) Schulen verwendet werden, in Bezug auf die Verbreitung von rassistischen Stereotypen gegenüber Arabern untersucht. „Mich hat die Perfektion und Raffinesse überrascht, mit der Text und Bilder zu einer rassistischen Darstellung der Palästinenser zusammengefügt werden“, so die Professorin. Palästinensische Bankangestellte, Kindergärtner, Zahnärzte und Automechaniker – in israelischen Schulbüchern würden Araber als „normale“ Personen nicht existieren. Sie würden lediglich als „Bedrohung“ und als „Problem“ reflektiert. Lehrbücher dienten als Werkzeuge zur „Einimpfung diskriminierender und rassistischer Anschauungen“ und „Ignoranz“ gegenüber den arabischen Nachbarn.
Das Buch hat bei seinem Erscheinen in Israel für Aufsehen gesorgt und die Autorin in ihrem Land unbeliebt gemacht. In einem Interview mit „Hintergrund“ (am 20.02.2013) antwortete sie auf die Frage, welche Wirkung von einer durchweg negativen Darstellung der Palästinenser in den Schulbücher ausgehe und welche Wirkung mit diesen Bildern transportiert werde: „Wenn man so viele Menschen unterdrücken und kontrollieren will, dann muss man ihnen ihr menschliches Antlitz nehmen und es durch Stereotype ersetzen. Die Palästinenser werden nicht als Individuen gezeigt, nicht als Menschen mit einer Kultur, sondern nur als Problem und als Bedrohung, die beseitigt werden müssen. Es ist viel einfacher, jemanden zu töten, der keine menschlichen Züge trägt, als jemanden, den man kennt und der einem vertraut ist. Es geht darum, gute Soldaten aus den Schülern zu machen. Je weniger sie wissen, desto besser.“
Zum Palästina-Bild, dass israelischen Schulkindern vermittelt wird, passe auch, dass die besetzten Gebiete auf Landkarten in Schulbüchern nicht nachgezeichnet sind. Da reiche Israel bis zum Jordan, manchmal, unter Bezug auf Bibelstellen, sogar darüber hinaus. Auf Karten, die die Bildungseinrichtungen der Region zeigen, fehlten die palästinensischen Universitäten ganz. Auf Karten mit Israels Bevölkerungszentren fehlten Hinweise auf Städte mit palästinensischer Mehrheit, zum Beispiel Nazareth. Die Existenz der Palästinenser werde den israelischen Kindern weitgehend als Wirklichkeit vorenthalten. In Hunderten und Aberhunderten von Büchern gäbe es kein Bild, auf dem ein Palästinenser als Individuum zu sehen wäre. „Es gibt kein einziges Foto eines Palästinensers als normale Person, so wie wir sind, also in normaler Alltagskleidung. Oder ein Kind, das Fußball spielt. Oder ein Arzt oder ein Lehrer oder was auch immer. Nichts, kein einziges Foto.“
Nurit Peled-Elhanan (* 1949) ist eine israelische Friedensaktivistin, sowie Professorin für Komparatistik an der Hebräischen Universität Jerusalem und gehört zu den Gründern von Bereaved Parents for Peace (deutsch: Trauernde Eltern für den Frieden). Nach dem Tod ihrer 13-jährigen Tochter im Jahr 1997 wurde sie eine offene Kritikerin der israelischen Besetzung des Westjordanlandes und des Gazastreifens. Foto: EPP-ED Group
Sönke Hundt