Eine Antwort auf Daniel Killys Betrachtung zum „neuen Antisemitismus“ im Weser-Kurier vom 26.7.2014

Eine genau kalkulierte Panik-Kampagne. Die hysterischen Warnungen vor einem neuen Antisemitismus in Deutschland sollen von Israels Vorgehen in Gaza ablenken

Arn Strohmeyer

Da schreien ein paar durchgeknallte Typen auf Demonstrationen gegen Israels Gaza-Krieg dumme und äußerst provokative Parolen – und schon wird die Drohung einer neuen Hatz auf die Juden beschworen. Zustände wie zu Hitlers Zeiten stehen offenbar unmittelbar bevor.

Ein Beispiel: In Bremen haben am Mittwoch 5000 Menschen gegen Israels Morden in Gaza protestiert. BILD machte im Vorfeld in gewohnt unverantwortlicher Manier daraus: „Morgen Hass-Demo in Bremen“. Schlimmer schon, dass der leitende Redakteur des öffentlich-rechtlichen Senders Radio Bremen, Jochen Grabler, vor der Demonstration seinen Hörern verkünden konnte: „Testosteron gepeitschte junge Männer vorneweg, verhetzt, aus jeder Pore dampfend vor Hass.” Und: “Wenn sich jetzt Andersdenkende nicht vor die Türe wagen, wenn – was Allah, der Christengott und Jahwe am besten gemeinsam verhüten mögen – Bremer Juden auf offener Straße angegriffen und gejagt werden, wenn Geschäfte gestürmt werden, weil irgendwer behauptet, sie seien in jüdischer Hand, wenn der Holocaust geleugnet, Fahnen des Heiligen Krieges hoch gehalten, Hitler gepriesen, die Juden ins Gas gewünscht….”

Daniel Killy sieht in seinem Leitartikel „Wankende Werte“ im Weser-Kurier in der Wochenendausgabe (26.7.2014) gleich die deutsche Demokratie in Gefahr, weil überall auf den Straßen fanatische Antisemiten „vertraute Parolen“ wie „Brenn Jude, brenn!“ und „Jude, Jude, feiges Schwein!“brüllten und eine Volksfront von ganz rechts bis ganz links ihren Antisemitismus völlig unverhohlen an Israel und den in Deutschland lebenden Juden austobten. Passiert ist in Bremen bei und nach der Demonstration nichts, die Polizei konnte keine besonderen Vorfälle melden. Alles verlief friedlich. In Berlin demonstrierten am Freitag Tausende gegen Israels Morden in Gaza. Passiert ist nichts, es gab keinen nennenswerten Zwischenfälle. Wer hetzt hier und wer sät Hass? Wie ist ein solcher Sudel- und Schmutzjournalismus in einem öffentlich-rechtlichen Sender und in einer großen regionalen Tageszeitung möglich?

Wenn hier wirklich eine antisemitische Gefahr im Anzug wäre, jeder in diesem Volk hätte die unbedingte Pflicht, dem entschieden entgegenzutreten – mit allen nur denkbaren Mitteln. Es wird aber nicht auf deutschen Straßen gemordet, sondern in Gaza. Dort wird ein völkerrechtswidriger Krieg gegen die Zivilbevölkerung geführt (Verstoß gegen die Haager und Genfer Menschenrechtskonvention). Die hysterische Stimmung, die gewisse Kreise und auch die Bundesregierung einschließlich des Bundespräsidenten erzeugen, sieht nach einer gut organisierten und abgesprochenen Kampagne aus, bei der der Antisemitismus-Vorwurf kräftig geschürt und instrumentalisiert wird.

Denn merkwürdig, in dem Augenblick, als Menschen auf die Straße gingen, um gegen das Morden zu protestieren, kam sofort der Aufschrei: ein neuer Antisemitismus droht in Deutschland! Das Rezept der Kampagne ist zu simpel, als dass man es nicht durchschauen könnte. Es verläuft wie früher schon immer nach demselben Schema: Israel begeht schwere Menschenrechtsverletzungen – der Protest dagegen bleibt nicht aus. Sofort setzt die Antisemitismus-Vorwurf-Kampagne ein. Was sie beabsichtig ist klar: 1. Erstens von den furchtbaren Nachrichten über Israels Vorgehen in Gaza abzulenken; 2. der Kritik an Israels Handeln die Berechtigung entziehen; 3. Israels „Kampf gegen den Terror“ in Gaza zu legalisieren; 4. nicht die Palästinenser, sondern die Israelis als Opfer darzustellen und 5. den Arabern bzw. den Palästinensern die Schuld für das Morden zuzuschieben. Der Historiker Michael Wolffsohn hat letzteres so schön ausgedrückt: Die Palästinenser bzw. die Hamas seien selbst an dem Morden schuld. So einfach ist das.

Es ist nicht überraschend, dass die offizielle deutsche Politik in diesen Chor sofort mit einstimmt. Das Ziel der Kampagne war bald erreicht: Alle reden vom neuen drohenden Antisemitismus und keiner mehr vom Morden in Gaza. Dabei trägt die offizielle deutsche Politik durch ihren staatsdoktrinären Philosemitismus, der jede Kritik an der israelischen Politik zum Tabu erklärt, kräftig zum Entstehen „antisemitischer“ Eruptionen wie jetzt anlässlich des Gaza-Krieges bei. Denn wenn Israel nur idealisiert und als Unschuldslamm dargestellt und jede Auseinandersetzung über seine Politik gegenüber den Palästinensern unterdrückt wird, muss sich die Kritik irgendwann eruptiv Luft schaffen – und dann auf Wegen, die völlig unangebracht sind.

Professor Rolf Verleger aus Lübeck, selbst Jude, hat diesen Sachverhalt sehr treffend in einem Interview formuliert: „Wer hat uns das denn eingebrockt? Wenn unsere Politiker alle sagen ja, das ist völlig richtig, was Israel macht, wenn unsere Medien sagen, ja, das ist völlig richtig, was Israel macht, wenn die Repräsentanten des Judentums nicht nur in Deutschland, sondern auch in Frankreich zum Beispiel sagen, ja, das ist doch ganz klar, wer gegen Israels Maßnahmen ist, der ist gegen Juden, dann fordert man solche antisemitischen Parolen geradezu heraus. Es ist doch eine Absurdität, diese Gewaltbereitschaft, diesen nationalreligiösen Hass, der sich in der israelischen Gesellschaft aufgestaut hat –  das mit der jüdischen Tradition der Nächstenliebe und dass das mal eine Religion war der tätigen Moral, wie es der Rabbiner Leo Baeck, der Führer des Judentums in Nazi-Deutschland, gesagt hat, das ist doch etwas völlig anderes geworden. Das muss man doch sehen und muss darauf reagieren. Man kann doch nicht jeden Quatsch, den Israel macht, mitmachen.“

Und der amerikanisch jüdische Politologe Norman Finkelstein hat schon vor Jahren den grundlegenden Widerspruch des Philosemitismus, dem auch die deutsche Regierung huldigt, einmal so beschrieben: „Weil die Philosemiten glauben, mit Rücksicht auf das historische Leid des jüdischen Volkes die Augen vor israelischen Verbrechen verschließen zu müssen, versetzen sie Israel in die Lage, seinen mörderischen Weg unbehelligt weiterzugehen. Was sie dabei übersehen, ist, dass genau das Antisemitismus schürt und schließlich auf die Selbstzerstörung Israels hinausläuft.“

Solche aufklärerischen und mäßigenden Stimmen sind eine Wohltat in der gegenwärtig hysterisch aufgeheizten Stimmung. Da ist noch eine Stimme der Vernunft zu nennen. Der prominente Antisemitismus- und Holocaustforscher Wolfgang Benz. Er sieht kein Anwachsen des Antisemitismus durch die anti-israelischen Demonstrationen in Deutschland. Seltsame Leute hätten ein paar blödsinnige Parolen gerufen, das seien aber nicht gleich anti-israelische Ausschreitungen. Benz sieht aber die Stimmung für Israel schlechter werden, was seine guten Gründe habe. Die israelische Regierung habe natürlich großes Interesse daran, jede Kritik an ihrem Handeln als Antisemitismus zu verstehen. Benz sagt aber klar und deutlich: Nicht jeder, der den Gaza-Krieg missbilligt und Mitleid mit den getöteten oder verletzten palästinensischen Zivilisten hat, ist deshalb ein Antisemit.

Den Israel-Freunden und Interessenvertretern dieses Staates, die mit dem Antisemitismus-Vorwurf immer so schnell bei der Hand sind, kann geholfen werden. Ihnen ist zu raten, sich mit allen Mitteln für ein Ende der Besatzung über die Palästinenser einzusetzen. Dann werden die Israel-Kritik oder der „Antisemitismus“ sofort rapide abnehmen. Das wäre ein furchtbarer Rückschlag für die wirklichen Antisemiten. Wen können sie dann verteufeln? Ihre wahren Gesichter und Ziele kämen zum Vorschein. Das wäre ein großer Sieg für uns alle – und die Menschlichkeit!

Ein Gedanke zu „Eine Antwort auf Daniel Killys Betrachtung zum „neuen Antisemitismus“ im Weser-Kurier vom 26.7.2014

  1. Herr Strohmeyer, wenn Ihr „Partner“ Detlef Griesche sich zum Sachverhalt wie folgt äußert:
    „Wenn jemand aufruft, den Staat Israel, in seinen ürspünglichen Grenzen, zu vernichten, das ist
    Antisemitismus, wenn jemand aufruft, das Judentum zu vernichten, das ist Antisemitismis“,dann
    ist nach dieser Logik der Aufruf, den Statt Israel in seinen heutigen Grenzen zu vernichten, wohl
    nicht antisemitisch. Daraus folgt dann aber, dass auch die Machenschaften der Nazis, z. B. die
    „Reichskristallnacht“ oder die Nürnberger Rassegesetze ebenfalls nicht antisemitisch waren.

    Wer die Fakten so kaschiert, gibt zu erkennen, wes Geistes Kind er ist, ein hinterhältiger und
    niederträchtiger Antisemit. Er sollte seine politische Heimat bei der NPD suchen.

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