Wer die Organisation Pax Christi für eine etwas frömmelnde, katholische Organisation hält, liegt völlig falsch. Katholisch ja, von der organisatorischen Anbindung, aber ansonsten erstaunlich frei und kritisch, was die Politik der israelischen Regierung anbelangt. Pax Christi hatte eine Reise vom 2. bis 8. März 2014 organisiert, an der wir teilnahmen. Für die Vorbereitung und Durchführung, für die vielen Einsichten, Ein- und Durchblicke und die Treffen mit so vielen kompetenten GesprächspartnerInnen ein großes Dankeschön den Organisatiorinnen Wiltrud Metz-Röschler (Bundesvorsitzende) und Beate Gilles (Referentin im Bistum Limburg) von Pax Christi!
Wir schildern hier kurz den Verlauf und die Stationen unserer Reise und verweisen im Übrigen auf das Video: Palästina – ein Land wird in Stücke gerissen und die Fotos, nach dem Motto: „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“. Von den sechs Tagen unserer Reise übernachteten wir an den beiden ersten Tagen in Jerusalem, danach in Bethlehem (Westbank). In Jerusalem waren wir untergebracht im von Palästinensern geführten Hotel „Ritz“, in Bethlehem im „Grand Hotel Bethlehem“. Beide Unterkünfte waren übrigens bescheidener, als ihre Namen vermuten lassen. Die individuelle Anreise (von Bremen über Istanbul nach Tel Aviv) verlief problemlos, auch die Kontrollen am Flughafen Tel Aviv. Wir mussten im Grunde nur die üblichen Standardfragen für Israelreisende beantworten; aber es war doch ein „kleines Verhör“ über den Grund der Reise und „was wir wo mit wem“ in Israel wollten.
Der 1. Tag (So, 02.03.): Anreise zum Abend sowie Einführung und Kennenlernen.
Der 2. Tag (Mo, 03.03.): Menschenrechte und Völkerrecht in Ostjerusalem
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Durch das palästinensische Ostjerusalem und durch die von Israel besetzten Gebiete der Westbank führte uns der auch hier bekannte Jeff Halper, ein jüdisch-amerikanischer Anthropologe, der uns das israelische Komitee gegen Hauszerstörung (Israel Committee Against House Demolition, ICAHD) vorstellte. (http://www.icahd.org/) Ziemlich drastisch wurden wir konfrontiert mit dem miserablen Zustand der gesamten Infrastruktur, mit den israelischen Hauszerstörungen, mit den illegal errichteten israelischen Siedlungen, mit den nur Siedlern vorbehaltenen Straßen und den Mauern, Zäunen, Checkpoints, Überwachungstechnik der verschiedensten Art – Apartheidspolitik auf israelisch, mit der längst nicht alle Israelis einverstanden sind!Am Nachmittag erwarteten uns palästinensische Menschrechtsaktivisten im Stadtteil Silwan in Ostjerusalem. Siedler mit sehr viel Geld betreiben dort die Ausgrabungsstätte „City of David“ samt einer großen Ausstellungsfläche. Hier soll mit großem Aufwand der Nachweis erbracht werden, dass an dieser Stelle „die Wiege Jerusalems“ aus der Zeit des König-reichs David stand – wissenschaftlich-archäologisch natürlich mehr als umstritten! Viele Häuser sind dafür schon enteignet und abgerissen worden. Wir waren z.B. in einem Haus, das teilweise wegen der Grabungen darunter eingestürzt war. Die Familie erhielt aber trotzdem keine Baugenehmigung für die dringend notwendigen Reparaturen.
Nach einem kurzen Spaziergang durch die Altstadt Jerusalems, also des Teils, der innerhalb der alten Stadtmauern liegt, folgte ein Besuch bei der Society of St. Yves (katholisches Menschenrechtsbüro). Die Mitarbeiter, ein Rechtsanwalt und eine deutsche Praktikantin, lieferten uns ein Briefing zu aktuellen israelischen Menschenrechtsverletzungen (Vertreibung, Enteignung, Haft). Die Society of St. Yves organisiert die rechtliche Beratung der Betroffenen und ihre Unterstützung vor israelischen Gerichten.
Nach dem Abendessen folgte ein Treffen mit EAPPI (The Ecumenical Accompaniment Programme in Palestine and Israel) des Weltkirchenrates (http://www.eappi.org/). Das Programm organisiert u.a. Begleitung von Schulkindern zum Schutz vor Verhaftungen, bezieht Posten an Checkpoints oder ist Ansprechpartner für Palästinenser bei Übergriffen der israelischen Besatzungsmacht.
Der 3. Tag (Di, 04.03.): Friedensarbeit in Israel
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Zunächst fuhren wir nach Jaffa (bei Tel Aviv), bummelten durch die sehenswerte Altstadt, genossen das Mittelmeer und fuhren dann weiter an die Nordgrenze des Gazastreifens, in den keine Touristen einreisen dürfen. Hier besuchten wir unsere erste israelische Gemeinde mit Namen Netiv H’asara, ganz in der Nähe von Sderot. Die Siedlung umfasst heute ca. 400 Familien mit rd. 800 Kindern, sie betreiben Obst- und Gemüseanbau auf genossenschaftlicher Basis.Früher lag die Siedlung im Gazastreifen, wurde dann aber im Zuge der Räumung der israelischen Siedlungen aus Gaza „verlegt“, d.h. völlig neu wieder aufgebaut, direkt vor und in Sichtweite der hohen Mauern und Wachttürme, die die schwer bewachte Grenze bilden. Wir waren zu Gast im Haus von Roni Keidar, die wirklich für unsere Gruppe beeindruckend war. Sie legte auch großen Wert auf die Feststellung, dass „ihr“ settlement innerhalb der „grünen Linie“ lag, also nicht auf besetztem Gebiet und nach internationalem Recht legal. Roni ist aktives Mitglied der kleinen Organisation „The Other Voice“ (http://www.othervoice.org/welcome-eng.htm), die sich die Verständigung mit den so nahen palästinensischen Nachbarn in Gaza zur Aufgabe gemacht hat und an beide Seiten die Forderung nach Waffenstillstand und Verständigung richtet. Die Liste der Aktivitäten und Aktionen dieser Organisation ist beeindruckend.
(Nur wenige Tage nach unserem Besuch gingen übrigens ca. 60 Raketen ziemlich genau im Gebiet um Sderot und Ashkelon nieder, abgefeuert im Gazastreifen. Eine Rakete schlug tatsächlich auch in der von uns besuchten Siedlung ein; sie ging auf einem Feld neben den Treibhäusern nieder und richtete keinen besonderen Schaden an.)
Am Nachmittag beschäftigten wir uns dann intensiv mit dem Thema „Die Gründung des Staates Israel und die Vertreibung der Palästinenser (Nakba)“. Wir waren zu Gast bei der kleinen israelischen Organisation Zochrot (http://zochrot.org/en) in Tel Aviv. Die Geschichtsschreibung in Israel ist sehr einseitig. Die Staatsgründung 1948 ist ein großer Feiertag; die gleichzeitige Vertreibung der Palästinenser ein striktes Tabu, das erst in der letzten Zeit durchbrochen wurde. Zochrot hat es sich zur Aufgabe gemacht, Erinnerungsorte der Nakba zu suchen, zu dokumentieren und die Erinnerung an dieses Stück Geschichte wach zu halten.
Danach trafen wir uns, ebenfalls in Tel Aviv, mit der bekanntesten und seit langem aktiven israelischen Friedensinitiative „Gush Shalom“ . Uri Avnery konnte leider nicht kommen, wurde aber kompetent vertreten von seinem Kollegen Adam Keller, vielen auch aus seinen Büchern und Schriften bekannt. Interessant waren insbesondere seine Einschätzungen der israelischen Gesellschaft. Die Ablehnung des Klerikalen und Kriegerischen wäre groß, es gäbe aber zur Zeit kaum konkrete politische Handlungsmöglichkeiten. Für viele überraschend und erstaunlich war sein Bericht über die vielen jungen Israelis in Berlin. Dort könne man als Israeli zur Zeit gut leben; es wären schon – so Adam Keller – viele Tausende dort. Darunter wäre auch sein eigener Sohn, der an der Humboldt-Uni studiere und das Leben in der Stadt, aus der sein Großvater einst 1933 von den Nazis vertrieben worden wäre, liberal und angenehm fände.
Abends fuhren wir dann direkt von Tel Aviv nach Bethlehem ins Grand Hotel.
Der 4. Tag (Mi, 05.03.): Aufenthalt in Bethlehem – Stadtrundgang, Besichtigung der Geburtskirche und ein Treffen mit der christlichen Bürgermeisterin Vera Baboun (http://www.bethlehem-city.org/en/index.php)
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Die Bürgermeisterin (übrigens eine Christin) trat sehr souverän auf. Sie schilderte das religiöse Leben der vielen christlichen Kirchen und Konfessionen in Bethlehem und die Schwierigkeiten der Familien, das Leben inmitten der Absperrungen und Behinderungen durch die Besatzung zu meistern.Nachmittags folgte der Besuch in Hebron. Alle aus der Reisegruppe hatten schon viel gehört von den Zuständen in der größten Industriestadt in der Westbank, aber das, was wir dann sahen, war doch einfach schockierend. Die weitgehende Rechtlosigkeit der Bewohner der Stadt und die Willkür der Siedler, geschützt von der IDF, den Israelischen Defense Forces, der wirtschaftliche Niedergang der Stadt und der einst lebendigen Geschäftsstraßen waren schwer zu verarbeiten. Wir besuchten hier das Christian Peacemaker Team aus den USA , die uns von ihrer Dachterrasse aus die Wachtürme und –posten sowie die Absperrungen zeigten und für uns einen Rundgang organisiert hatten. Das Militär wäre zwar in der letzten Zeit weniger sichtbar, aber es könnte die Stadt innerhalb kurzer Zeit mit Straßensperren so abriegeln, dass ein innerstädtischer Verkehr unmöglich werde.
Danach ging’s wieder zurück nach Bethlehem zum „Arab Educational Institute (AEI)“ (http://www.aeicenter.org/), einer NGO, die angegliedert ist an Pax Christi International und 1986 von einer Gruppe aus palästinensischen Jugendlichen, Frauen und LehrerInnen gegründet wurde. Die Gruppe engagiert sich auf den Gebieten der Erziehung und Bildung und setzt sich ein für demokratisches und kulturell pluralistisches Palästina ein. Wer noch nie durch einen der großen Checkpoints gegangen ist, kann sich das nicht richtig vorstellen. Man geht durch endlos scheinende Gänge mit übermannshohen Drahtgittern und Mauern, muss sich durch mehrere Drehkreuze quälen, wird ohne zu wissen warum aufgehalten, kann dann plötzlich weitergehen … also sehr kafkaesk das Ganze. Viele PalästinenserInnen aus Bethlehem arbeiten in Jerusalem und müssen jeden Tag – morgens und abends – oft stundenlang durch diesen Checkpoint. Zu Fuß, denn mit dem Auto ist es verboten.
Abends stand dann noch ein Treffen mit „The Parents Circle“ auf dem Programm, einer Organisation von israelischen und palästinensischen Eltern, die durch den Konflikt ihre Kinder verloren hatten. Die Berichte eines Israeli und eines Palästinensers und ihre Kraft für Verständigung und Frieden gingen uns unter die Haut. Respekt!
Der 5. Tag (Do, 06.03.): Besuch des Holocaust Museums und Gedenkstätte Yad Vashem bei Jerusalem
Die Gedenkstätte war eindrucksvoll, aber eigentlich weniger bedrückend als erwartet oder befürchtet. Sie soll deutlich machen und macht auch deutlich, dass das „Never Again“ zur israelischen Staatsdoktrin geworden ist. Wir aber, die wir uns ja hauptsächlich auf dieser Reise mit der Geschichte und den Problemen der Palästinenser beschäftigen wollten, wurden die Frage nicht los, warum diese Menschen dermaßen die Leidtragenden der tragischen Geschichte der Juden werden mussten.
Nachmittags trafen wir uns in Ramallah in einem Cafe mit dem palästinensischen Regisseur Mohammed Alatar. Er hat die bekannten Filme „Die eiserne Mauer“ und „Jerusalem – the East Side Story“ gedreht. Wie er uns erzählte, plant er einen neuen Film über das Bewusstsein in den arabischen Ländern über den Holocaust. Er wäre aber noch auf der Suche nach einer akzeptablen Finanzierung.
Abends dann besuchte uns in unserem Hotel in Bethlehem tatsächlich der Erzbischof Atallah Hanna der griechisch-orthodoxen Kirche in Jerusalem. Es wurde zuerst gemeinsam gebetet, dann erläuterte der ehrwürdige Herr im Priesterkleid uns die Grundsätze des „Kairos Palästina Dokuments“ der christlichen Kirchen, das es vom politischen Inhalt her in sich hat. Der Name bezieht sich auf ein christliches Dokument, das bei der Überwindung der Apartheid in Südafrika eine große Rolle gespielt hat. Der Bischof war von seinem Selbstverständnis her Palästinenser griechisch-orthodoxen Glaubens und sprach – selbstverständlich – auch arabisch.
Der 6. Tag (Fr, 07.03.): Fahrt zu Mauern und Siedlungen im Westjordanland
Wir lernten den Unterschied und die Besonderheiten der A-, B- und C-Zonen im Westjordanland kennen, führten Gespräche mit Menschenrechtsverteidigern und wurden von der Organisation „Stop the Wall“ durch das Jordantal geführt. Wir sahen zerstörte Häuser, abgeholzte Olivenhaine, ausgetrocknete Gebiete (der palästinensischen Bauern) und grüne riesige Plantagen mit Orangen, Dattelpalmen, Bananen und Gemüse (der illegalen settlements). Nur ihnen, den israelischen Siedlungen, steht ausreichend Wasser zur Verfügung! Unsere Führer versuchten, uns die „Matrix of Control“, also das engmaschige Netz der israelischen Kontroll- und Herrschaftsmechanismen deutlich zu machen. Umfassend verstanden oder gar behalten hat es wohl keiner aus unserer Reisegruppe. So viel blieb aber hängen: Es existiert ein Labyrinth von Gesetzen und Militärverordnungen, bürokratische Hindernisse erschweren Planungen jeder Art. Der kontinuierliche Bau von nach internationalem Recht illegalen Siedlungen geht immer weiter, immer mehr palästinensisches Land wird enteignet und geht dadurch verloren. Eine angemessene Infrastruktur gibt es nahezu ausschließlich nur für die Siedlungen. In den palästinensischen Dörfern wird der Aufwand dafür auf ein Minimum oder darunter reduziert. Permanent herrschen kriegsähnliche Situationen, die dazu dienen, die Besatzung zu rechtfertigen. Alles im Namen der Sicherheit, um den Staat Israel vor palästinensischem Terror zu schützen. Glaubhaft ist das alles nicht.
Der 7. Tag (Sa, 08.03.): Rückflug ab Tel Aviv
kurzes Resümee
Neben dem offiziellen Programm führten wir abends noch lange Gespräche in der Gruppe. Dabei gab es auch durchaus unterschiedliche Meinungen über das Gesehene und Erlebte. Aber alle waren sich einig, dass man mehr sieht und „erkennt“, wenn man mehr von der Vorgeschichte und den Hintergründen weiß. Aber auch umgekehrt: Erst das eigene Erleben „vor Ort“ vermag das Gelesene und Gehörte anschaulich zu machen, und zumindest ansatzweise nachvollziehbar. Für uns war die Reise auf jeden Fall auch ein Ansporn, mit der Solidaritätsarbeit für das palästinensische Volk verstärkt weiterzumachen.
Die starken Frauen von Pax Christi haben wahrlich viele interessante Kontakte hergestellt und diese intensive, informative Reise sehr gut organisiert. Wir danken!
Arno Hopp und Sönke Hundt
Ralf Woelk aus unserer Reisegruppe hat ebenfalls einen sehr lesenswerten Bericht mit Fotos fertiggestellt, den man hier als pdf-Datei downloaden kann.Bilder aus Jerusalem: Klagemauer, Tempelberg, Felsendom …
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Danke für diesen Bericht. Er ist sehr gut gemacht, übersichtlich, informativ, anschaulich und sehr erschütternd. Auch ermutigend. Es ist zu hoffen, dass der Bericht von vielen-vielen Menschen gesehen wird. Allerdings: Mir fehlt eine Antwort auf die sich jeder/jedem aufdrängende Frage, ob man unmittelbar etwas tun kann und was genau.
Hallo Sönke, hallo Arno, ich danke euch herzlich für den informativen, detailreichen und interessant geschriebenen Bericht über unsere gemeinsame Reise und die tollen Fotos. Ich wünsche euch viel Erfolg bei eurer wichtigen Solidaritätsarbeit. Shalom – Salaam. Gerlinde