Nach der Mahnwache für einen gerechten Frieden in Palästina und Israel, die jeden Samstag am Bremer Markt stattfindet, ziehen sieben von uns weiße Kittel über, auf der Rückseite die Aufschrift: Inspektion Kennzeichnungspflicht von Waren aus illegalen israelischen Siedlungen. Wir werden begleitet von zwei Personen, darunter ein Fotograf, der unsere Aktion in Bild und Video festhält.
Vorgeschichte: Schon Anfang des Jahres hatten wir Geschäfte in Bremen gecheckt nach Produkten aus Israel und deren Kennzeichnung und die Geschäfte schriftlich angefragt, ob sie Produkte aus illegalen israelischen Siedlungen in ihrem Sortiment führten. Einige Geschäfte hatten uns geantwortet. In unserem Schreiben hatten wir einen „Besuch“ unsererseits zu einem Check zur korrekten Kennzeichnung von Siedlungsprodukten angekündigt. Dazu sind wir nun heute unterwegs:
Wir ziehen einen Bollerwagen hinter uns her, wo auf großen Postern erklärt wird , warum wir unterwegs sind: Laut EU-Beschlüssen von 2010 und erneut bestätigt am 11.November 2015 sind Waren aus illegalen israelischen Siedlungen ausgeschlossen von den EU-Zollvergünstigungen für Israel und sind daher als solche kenntlich zu machen. Israel weigert sich das zu tun. Deswegen fühlen wir uns als mündige Bürgerinnen und Bürger gefordert, die Auszeichnung von Siedlungsprodukten aus Ost-Jerusalem, dem Westjordanland und den annektierten Golan-Höhen zu überprüfen. Mit einer Presseerklärung hatten wir einige Tage zuvor die Medien in Bremen auf unsere geplante „Inspektion“ aufmerksam gemacht.
Leider ist heute kein guter Termin für unsere Aktion, denn Werder Bremen wird bald gegen den HSV im Nord-Derby spielen, irgendwo ist eine Demonstration geplant, dazu sind am Samstag vor dem 1.Advent viele Passanten zum Weihnachtsmarkt unterwegs. Man schaut uns teils neugierig, teils irritiert an. Vollgepackt mit Einkäufen haben Passanten kaum eine Hand frei, um unsere Handzettel entgegen zu nehmen.
Erste Station Kaufhaus Karstadt
Bei Karstadt beim Eingang zur Lebensmittelabteilung machen wir zuerst Halt. Wir sprechen Passanten an und laden ein zur Unterschrift: Wir wollen keine Produkte aus illegalen israelischen Siedlungen kaufen und fordern deshalb die Einhaltung der EU-Kennzeichnungspflicht. Drei von uns „Inspekteuren“ gehen zunächst in die Lebensmittelabteilung, ausgestattet mit drei verschiedenen Sorten von Fähnchen*, die wir entsprechend an Waren aus Israel anbringen wollen: Wir werden fündig: Feigen aus Israel – Wir stecken ein Fähnchen hin: „Vorsicht! Herkunft dieses Produktes unklar! Das Produkt könnte aus einer illegalen israelischen Siedlung im Westjordanland stammen.“
Der Abteilungsleiter ist schnell zur Stelle, reagiert freundlich und souverän. Er kenne die Diskussion. Bei den lose angebotenen Waren könne evtl. die Auszeichnung „Aus Israel“ noch fehlen. – Wir stecken weitere Fähnchen an Produkte aus Israel, die er aber, als wir weggehen, schnell wieder entfernt. Wir sehen keinen „israelischen“ Wein von den Golanhöhen, so bleiben unsere Fähnchen mit der Botschaft: Vorsicht! Dieses Produkt stammt aus den von Israel annektierten Golanhöhen ungenutzt.
Dann finden wir aber in der Kosmetik-Abteilung einen großen dekorativen Stand zu AHAVA Tote Meer Produkte, die sind eindeutig aus illegalen israelischen Siedlungen im Westjordanland! Hier kommt unser drittes Fähnchen zum Einsatz: „Vorsicht! Dieses Produktes stammt aus einer illegalen israelischen Siedlung im Westjordanland“. Kaum haben wir unsere Fähnchen gesteckt, ist die Abteilungsleiterin zur Stelle – Wir vermuten, alle Abteilungen sind inzwischen über unseren „Besuch“ informiert. Sie fordert uns in sehr bestimmtem Ton auf, sofort das Haus zu verlassen, sonst müsse sie die Polizei holen. Wir verlassen friedlich und freundlich, aber langsam das Haus.
Zweite Station Rossmann Drogerie
Durch die Fußgängerzone geht es nun zu Rossmann: Wieder gehen drei unserer Inspekteure in den Laden, die anderen informieren vor der Tür. Kaum haben wir beim Badesalz vom Toten Meer unsere Fähnchen angebracht „Vorsicht Herkunft unklar!…“ , kommt eine sichtlich überforderte Filialleiterin auf uns zu und verweist uns des Ladens. Wir versuchen zu erklären, dass wir ja gar nichts gegen Rossmann haben, die KäuferInnen sollten doch wissen, was sie kaufen, sprechen von EU-Bestimmung, Völkerrecht etc. – wir müssen den Laden verlassen. Sie ruft den Hausdetektiv, gemeinsam wollen sie uns sogar verwehren, vor dem Eingang (öffentlicher Grund und Boden) zu stehen, um dort aufzuklären und verlangen die Löschung unserer Fotos und Videos. Die Filialleiterin hat inzwischen die Rossmann-Hauptgeschäftsstelle konsultiert und die Genehmigung erhalten, die Polizei zu rufen. – Das könne sie gern tun, wir träten doch nur für eine richtige Kennzeichnung der Waren aus illegalen Siedlungen ein gemäß EU-Bestimmung etc. ein – Das interessiere sie nicht. – Inzwischen hat sich eine Gruppe von Passanten um uns gebildet, zusammen blockieren wir quasi den Eingang zu Rossmann. Weil eine von uns ein Fähnchen gesteckt habe, erhalte sie Hausverbot nicht nur in dieser Filiale, sondern in allen Rossmann-Filialen. – Wie sie das denn durchführen wollten? – Da die Filiale videoüberwacht sei, habe sie uns auf Video.
Unsere Fotos geben wir nicht heraus, versprechen aber – das hatten wir eh vor – sie nur unter Unkenntlichmachung der Gesichter der betroffenen Mitarbeiter öffentlich zu verwenden. Sie müsse doch sicher einen Bericht über den Vorgang schreiben, damit sie dies korrekt könne, solle sie doch bitte unsere Information entgegen nehmen. – Nein, das interessiert sie nicht.
Wir beenden unsere Aktion in der Gewissheit, dass sowohl bei Karstadt also auch bei Rossmann die Angelegenheit diskutiert werden wird.
Inzwischen gab es vor der Tür heftige Diskussionen mit herbeigeeilten Journalisten, leider nur von der taz und BILD – von in Bremen einschlägig bekannten Journalisten, die versuchen unsere Aktion wider besseres Wissen und Anschauung als anti-semitisch zu bezeichnen. Mit diffamierenden Lügen ist über die Aktion in Bremen sogar in der Jerusalem Post in Israel zu lesen.
Hildegard Lenz
* auf der Rückseite aller Fähnchen ist zu lesen:
„Die israelischen Siedlungen im Westjordanland sind völkerrechtlich illegal. Wie der Internationale Gerichtshof in einem Gutachten vom 9.7.2004 feststellte, widersprechen sie der Vierten Genfer Konvention. 2010 entschied der Europäische Gerichtshof, dass Produkte aus den israelischen Siedlungen nicht unter das EU-Zollpräferenz-Abkommen fallen und nicht als Made in Israel (Strichcode 729) ausgezeichnet werden dürfen. Da Israel sich weigert, das zu tun, hat die EU am 11.Nov. 2015 Israel erneut aufgefordert, Siedlungsprodukte als solche zu kennzeichnen.“
Medienecho
Das Medienecho auf unsere Aktion war äußerst einseitig. Außer der taz, die einen eher ditanziert-unfreundlichen Artikel schrieb (http://www.taz.de/Inspektoren-on-tour/!5255916/) waren es nur diffamierende Artikel. Die BILD-Bremen machte den Anfang („Empörender Aufmarsch am Samstag in der City: In Schutz-Mänteln mit Aufschrift „Inspektion“ machten selbst ernannte „Kontrolleure“ Jagd auf Produkte aus Israel!„)
und zitierte CDU-Fraktionschef Thomas Röwekamp (49): „Zum wiederholten Mal haben linke Antisemiten ungehindert ihre widerlichen Aktionen in Bremen starten können. Ich erwarte, dass auch die Bremer Politik sich endlich eindeutig von denen distanziert.“
BILD informierte dann andere pro-Israel-Medien , z.B. die
- Jerusalem Post: BDS activists in Germany inspect stores to force labeling of Israeli products
- und so kam es dann zu einer wahren Diffamierungskampagne in Deutschland:- Die Achse des Guten titelte „Die antisemitische Vorhut der EU„. Leseprobe: „In weißen Schutzmänteln, wie um eine gefährliche Kontamination abzuwehren, zogen einige von ihnen am vergangenen Samstag durch die Bremer Innenstadt….Die uniformartige weiße Schutzkleidung, mit der eine Seuchengefahr suggeriert wird; die bandenförmige Organisierung als selbst ermächtigte Vollstrecker des Volkswillens unter dem wohlklingenden Label »Zivilgesellschaft«; die gründliche Inspektion und detaillierte Erfassung in Listen als Vorstufe zur Säuberung; der Verdacht, also das Gerücht über die Juden, wie Adorno den Antisemitismus definierte; schließlich die Kennzeichnung, also Stigmatisierung von allem, was für jüdisch gehalten wird, und der Aufruf zum Boykott – es bedarf keiner großen assoziativen Fertigkeiten, um zu erkennen, wonach die »Inspekteure« trachten.“
- Bei haOlam waren wir “ in gespestigem Weiß gekleidete willige Vollstrecker der BDS-Bewegung“.
- Die Jüdischen Allgemeine schrieb: „Warum man die Bremer »Israelkritiker« mit Wuppertals »Scharia-Polizei« vergleichen kann“.
- Bei Telepolis (heise online) wurde der Boykott jüdischer Geschäfte ab 1933 (mit Photo) angeführt und uns vorgehalten.
- Schließlich gab es noch eine Strafanzeige, wegen Amtsanmaßung, denn wir hätten uns als Inspektoren ausgegeben und mit der Kennzeichnung „Handlungen vorgenommen, welche nur kraft eines öffentlichen Amtes vorgenommen werden dürfen“
Von den deutschen Mainstream Medien wurde unsere Aktion allerdings gar nicht wahrgenommen, obwohl wir in Bremen die Medien informiert hatten. Wir hatten erwartet, dass man über unsere Aktion fair berichten würde. Das hat die taz nur in Ansätzen getan. Dass das Eintreten für die Kennzeichnungspflicht kein Antisemitismus ist, sondern ein Versuch, deutlich zu machen, dass Israel eine Besatzungsmacht ist, die die Menschenrechte der Palästinenser mit Füßen tritt, ist für die meisten Medien kein Thema. Damit würden sie sich auch solchen diffamierenden Kampagnen aussetzen. Einzig ein Spiegel-Essay zur KaDeWe-Problematik wagte es, den Sachverhalt klar zu benennen (Spiegel 49/2015). Dort heißt es: „Die deutsche Israellobby verprellt mit fragwürdigen Holcaust-Vergleichen die Unterstützer des jüdischen Staates in Deutschland“ und „Die Siedlungen sind nicht existenziell für Israels Sicherheit. Im Gegenteil: sie gefährden Israels Existenz als jüdischer und demokratischer Staat.“
Fazit: heftig diffamierende Artikel in pro-Israel-Medien, Schweigen in der sonstigen Presselandschaft: Es braucht einen langen Atem, um die Menschenrechtsproblematik im Israel/Palästina-Konflikt auch den Deutschen nahezubringen.