Beschwerde an den Rundfunkrat über Radio Bremen

„Sie zündeln in vollem Bewusstsein.“ Und: „Immer vorneweg: Testosteron gepeitschte junge Männer, verhetzt, aus jeder Pore dampfend vor Hass.“ So hieß es in einem Kommentar von Jochen Grabler auf Radio Bremen am 22. Juli 2014, einen Tag vor der großen Palästina-Demonstration, die dann mit über 5000 Teilnehmern völlig friedlich ablief. Diese „ungeheuren Behauptungen“, in denen „die Organisatoren und Teilnehmer der Demonstration in übelster Weise diffamiert, denunziert, ja kriminalisiert werden“, haben die Journalisten  Beate Krafft-Schöning und Arn Strohmeyer veranlasst, beim Rundfunkrat von Radio Bremen Beschwerde einzulegen. Der ganze Brief hier. Der Brief ist am 8. August 2014 abgeschickt worden.

An den Rundfunkrat von Radio Bremen                 Bremen, den 7.8.2014
Anstalt des Öffentlichen Rechts
Diepenau 10
28195 Bremen

Betr.: Beschwerde über den Kommentar von Jochen Grabler „Sie zündeln in vollem Bewusstsein“ am 23.07.2014

Sehr geehrte Damen, sehr geehrte Herren,
wir möchten uns bei Ihnen – den Mitgliedern des Rundfunkrates von Radio Bremen – über den Kommentar von Jochen Grabler „Sie zündeln in vollem Bewusstsein“ am 23.07.2014 im Programm von Radio Bremen beschweren. Um die Situation zu beschreiben, die zu diesem Kommentar führte: Für den 23.07.2014 hatten verschiedene islamische und andere Bremer Gruppen ( Deutsch-Palästinensische Gesellschaft, Bremer Friedensforum, Nahostforum Bremen) zu einer Demonstration gegen Israels Bombardierung des Gaza-Streifens aufgerufen, die damals schon Hunderte von Toten gefordert hatte. Mit der Polizei waren im Vorfeld der Demonstration genaue Absprachen getroffen wurden, die auch peinlichst eingehalten wurden. Es gab keinerlei Zwischenfälle bei dieser Demonstration und der Kundgebung. Die Einsatzleitung der Bremer Polizei hat sich ausdrücklich bei den Organisatoren für die gute Zusammenarbeit bedankt.

Ganz im Stil der BILD-Zeitung, die einen Tag vor der Demonstration in ihrer Bremer Ausgabe eine „Hass-Demo“ angekündigt hatte, behauptete der Radio-Bremen-Journalist Jochen Grabler in einem Kommentar vor der Demonstration in Bremen, dass die Veranstalter hier „zündelten“. Er schildert dann Zustände, wie sie im „Dritten Reich“ bei der sogenannten „Kristallnacht“ 1938 von den Nazis in Szene gesetzt wurden. Zitate aus dem Kommentar: „Um es mal auf den Punkt zu bringen: Wenn sich jetzt Andersdenkende nicht vor die Türe wagen, wenn – was Allah, der Christengott und Jahwe am besten gemeinsam verhüten mögen – Bremer Juden auf offener Straße angegriffen und gejagt werden, wenn Geschäfte gestürmt werden, weil irgendwer behauptet, sie seien in jüdischer Hand, wenn der Holocaust geleugnet, Fahnen des Heiligen Krieges hoch gehalten werden, Hitler gepriesen, die Juden ins Gas gewünscht, wenn Hakenkreuze in Davidsternen vorgezeigt werden, dann wissen wir heute schon, wer diese Giftspritze angesetzt hat: Frau Krafft-Schöning und ihre Friedensfreunde.“ (Die Journalistin Beate Krafft-Schöning war eine der Organisatoren/innen der Demonstration.)

Weiter heißt es in dem Kommentar von Jochen Grabler: „Immer vorneweg: Testosteron gepeitschte junge Männer, verhetzt, aus jeder Pore dampfend vor Hass. Aber selbstredend demonstrieren sie nur für Frieden und Gerechtigkeit. Denn stets kommen die Aufrufe zu solchen Demonstrationen mit dem gleichen naiv-doofen Augenaufschlag daher. Wie jetzt in dem Bremer Aufruf: ‚Die Veranstalter sind ausdrücklich daran interessiert, dass Menschen aller Nationalitäten und Religionen an dieser Demonstration für den Frieden teilnehmen.‘“ Nach einer grundsätzlichen Rechtfertigung des Demonstrationsrechts heißt es weiter: „Aber wenn nun der Krieg um Gaza so in unsere Städte getragen wird, dass sich Menschen anderer Meinung nicht mehr an die Öffentlichkeit wagen, und dass Angehörige einer Religion um Leib und Leben fürchten müssen, dann ist die Grenze der Meinungs- und Demonstrationsfreiheit weit überschritten. Weil die Menschenwürde unantastbar ist. Das sind die hohen, höchsten Güter, mit denen auch die Bremer Friedensfreunde gerade spielen. Sie zündeln in vollem Bewusstsein. Dafür gibt es keine mildernden Umstände.“

Das sind ungeheure Behauptungen. Hier werden die Organisatoren und Teilnehmer der Demonstration in übelster Weise diffamiert, denunziert, ja kriminalisiert – im Grunde mit SA-Schlägern auf eine Stufe gestellt. Wir fragen uns, wie ein solcher Kommentar in einer Öffentlich-Rechtlichen Rundfunkanstalt möglich ist. Die Aussagen dieses Kommentars sprechen in vielen Punkten dem Kodex des Deutschen Presserates Hohn: Ziffer 1: Achtung vor der Wahrheit, Wahrnehmung der Menschenwürde und wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit; Ziffer 2: Zur Recherche gehört die unverzichtbare journalistische Sorgfaltspflicht; Ziffer 3: Bei der Beschaffung von Daten, Nachrichten und Informationen dürfen keine unlauteren Methoden angewendet werden; Ziffer 8: bloße Sensationsinteressen rechtfertigen keine identifizierende Berichterstattung; Ziffer 9: es widerspricht journalistischer Ethik, mit unangemessenen Darstellungen Menschen in Wort und Bild in ihrer Ehre zu verletzen.

Wir weisen noch einmal darauf hin, dass es bei der Bremer Demonstration keinerlei Zwischenfälle gegeben hat – in diesem Sinne haben auch der Weser-Kurier am 24.07 und die FAZ am 28.7. berichtet. Es ist auch überflüssig zu sagen, dass diese Demonstration sich nicht gegen „Juden“ richtete, sondern gegen Israels Vorgehen im Gaza-Streifen, das nach neuesten Informationen (Stand: 6.08.2014) 1860 Palästinensern das Leben gekostet hat (davon 70 – 80 Prozent Zivilisten), 400 Kinder kamen zu Tode, weitere 10 000 Palästinenser wurden verletzt. Auf israelischer Seite wurden drei Zivilisten getötet und 68 Soldaten. Allein diese Zahlen belegen, wie asymmetrisch diese Auseinandersetzung war und ist.

Wir werfen Herrn Grabler vor, dass er in seinem Kommentar Zustände herbeiredet, die es in Bremen nicht gibt und die es hoffentlich auch nie wieder geben wird. Was er den Organisatoren und Teilnehmern vorwirft, nämlich zu „zündeln“, macht er selbst in übelster Weise. Als Kronzeugen für unsere Beschwerde führen wir den sehr renommierten Holocaust- und Antisemitismus-Forscher Professor Wolfgang Benz an (er war viele Jahre der Leiter des Zentrums für Antisemitismus-Forschung an der TU in Berlin). Er hat in mehreren Interviews in den Tagen, an denen die Demonstrationen stattfanden, gesagt, dass es unschöne und zu verurteilende Vorfälle bei diesen Demonstrationen gegeben habe, dass er aber kein Ansteigen des Antisemitismus in Deutschland sieht. (Siehe Interviews: ZEIT-online 22.07.2014; TAZ.de 23.07.2014)

Wir möchten Sie bitten, den Kommentar von Jochen Grabler auf das schärfste zu verurteilen. Wir werden unsere Beschwerde auch an den Intendanten von Radio Bremen und den Deutschen Presserat leiten.

Mit freundlichen Grüßen

Beate Krafft-Schöning und Arn Strohmeyer

Beate Krafft-Schöning (Journalistin)
Fontane Straße 3
27711 Osterholz-Scharmbeck
Tel. 04791-898070

Arn Strohmeyer (Journalist, früher Bremer Nachrichten und Weser Kurier)
Akazienstraße 48
28197 Bremen
Tel. 0421-4989210
email: arn.strohmeyer@web.de

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