Peace is (was) possible! Wem gehört Jerusalem?

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Am 9. Februar 2017 kamen mit Daniel Seidemann und Saman Khoury zwei wichtige Vertreter der israelischen und der palästinensischen Friedensbewegung nach Bremen. Daniel Seidemann ist amerikanisch-israelischer Rechtsanwalt, der spezialisiert ist auf israelisch-palästinensische Beziehungen und schon viele Prozesse bis zum Obersten Gerichtshof in Jerusalem gebracht hat. Er ist zur Zeit Generaldirektor der „City of Nations“, einer NGO, die sich dem Friedensprozess vor allem in Jerusalem verschrieben hat. Sein Vater ist in Breslau geboren; sein Großvater war dekorierter Soldat im 1. Weltkrieg; die Familie konnte Deutschland noch rechtzeitig verlassen und ist nach Zwischenstationen in Moskau und Peking in die USA emigriert. Saman Khoury ist Palästinenser aus Ost-Jerusalem. Er war im palästinensischen Widerstand, wurde von den Israelis als Terrorist angesehen und mehrere Male verhaftet und inhaftiert. Er nahm auf Seiten der PLO als Berater im technischen Team an den Verhandlungen zu den Oslo-Verträgen und zur „Genfer Initiative“ teil.

Die „Genfer Initiative“

Am 1. Dezember 2003 wurde nach dreijährigen Verhandlungen zwischen einer israelischen und einer palästinensischen Delegation ein Dokument unterschrieben, das als „Genfer Initiative“ bezeichnet wird. Die Delegationen aus jeweils 25 Mitgliedern wurden angeführt geführt vom ehemaligen israelischen Justizminister Yossi Beilin und dem ehemaligen Mitglied der palästinensischen Autonomiebehörde Yasser Abed Rabbo. Die Absicht der „Genfer Initiative“ war es – auf dem Höhepunkt der 2. Intifada – eine Alternative zu weiteren gewaltsamen Auseinandersetzungen aufzeigen. Das Abkommen regelte in einer Fülle von detaillierten Formulierungen eine zukünftige Koexistenz und Kooperation unter gegenseitiger Anerkennung sowie dem Verzicht auf weitergehende Forderungen zwischen Israel und einem zukünftigen Staat Palästina im Westjordanland und dem Gaza-Streifen vor. Als Grenze wurde – mit einigen Gebietskorrekturen – die „Grüne Linie“ festgelegt; die meisten israelischen Siedlungen sollten aufgegeben und ihre Bewohner (damals 110.000 Menschen) nach Israel umgesiedelt werden; das Rückkehrrecht der Palästinenser nach Israel sollte auf eine noch festzulegende Zahl beschränkt sein. Das Genfer Abkommen wurde erhielt große internationale Unterstützung und Anerkennung. Am 14. Januar 2004 wurden beide Delegationsführer im Auswärtigen Ausschuss des Deutschen Bundestages mit größtem Respekt begrüßt; es folgte eine Entschließung des deutschen Parlaments mit dem Titel „Road Map wieder beleben – Genfer Initiative unterstützen“. (aus Wikipedia und Hagalil v. 29.08.2015)

Allerdings: das Abkommen wurde nie von der israelischen Regierung bzw. der palästinensischen Autonomiebehörde anerkannt und umgesetzt. Die beiden Referenten setzten sich trotzdem mit großer Vehemenz für dieses Abkommen und die seinerzeit erreichten Verhandlungslösungen ein. Es wurde still im Vortragssaal der Villa Ichon, als Daniel Seidemann mit großem Pathos erklärte: „Die Abkommen von Genf ist nicht die beste, sie ist die einzige Lösung! Es ist der Beweis dafür, dass eine Verhandlungslösung möglich ist. Es ist der Beweis dafür, dass es auf beiden Seiten Verhandlungspartner gibt. Es ist der Beweis dafür, dass es möglich ist, in den Palästinensern nicht nur gewalttägige Monster zu sehen und von den Israelis nicht länger zu glauben, dass sie nur die Sprache der Gewalt verstünden.“

Große Hoffnungen in Angela Merkel

Für viele Zuhörer war es sicher eine handfeste Überraschung, als die Referenten die deutsche Bundeskanzlerin in den höchsten Tönen lobten. Warum? Es ging um das gerade am 6. Februar von der Netanyahu-Regierung eingebrachte und von der Knesset in 3. Lesung verabschiedete Gesetz zur Legalisierung von 4000 Siedlerwohungen, die auf privatem palästinensischen Gebiet gebaut worden und selbst nach israelischen Gesetzen illegal waren. Das Gesetz war verabschiedet worden in der Erwartung der Netanyahu-Regierung, dass der neue US-Präsident Donald Trump das Gesetz entweder akzeptieren oder es sogar begrüßen würde.

Gegen dieses Gesetz haben viele Regierungen von vielen Ländern, außerdem die Vereinten Nationen und die Europäische Union, umgehend Protest erhoben. Die allergrößte Beachtung in der israelischen Öffentlichkeit fand die scharfe Erklärung des deutschen Auswärtigen Amtes.  „Viele in Deutschland, die in tiefer Verbundenheit an der Seite Israels stehen, lässt dieser Schritt enttäuscht zurück“, hatte der Sprecher des Auswärtigen Amtes am 7. Februar 2017 in Berlin erklärt und ergänzt: „Das Vertrauen, das wir in das Bekenntnis der israelischen Regierung zur Zwei-Staaten-Lösung haben mochten, ist nachhaltig erschüttert. […] Nur eine verhandelte Zwei-Staaten-Lösung kann dauerhaft Frieden bringen und im Interesse Israels sein. […] Angesichts vielfältiger Bedenken, die auch der israelische Generalstaatsanwalt noch einmal bekräftigt hat, wäre es gut, wenn das Gesetz schon bald einer kritischen rechtlichen Prüfung unterzogen würde“.

Diese Stellungnahme, das wusste Seidelmann aus seinen persönlichen Kontakten in Berlin zu berichten, sei von der Bundeskanzlerin persönlich gebilligt worden. Es sei die wichtigste internationale Kritik gewesen. „Ich weiß nicht“, so Daniel Seidemann, „ob Merkel eine gute Kanzlerin für Deutschland ist. Aber ich weiß, dass ihre Stimme und damit die Stimme Deutschlands für Israel essentiell ist und entsprechend dort wahrgenommen wird. Merkel ist in Israel sehr populär und entsprechend ist die von Deutschland geäußerte Kritik an der israelischen Regierung als ein diplomatisches Erdbeben sondergleichen aufgefasst worden.“

Der Vortragssaal in der Villa Ichon war mit rd. 60 Zuhörern und Zuhörerinnen gut gefüllt. Detlef Griesche begrüßte die Gäste aus Jerusalem und moderierte die sich anschließende, natürlich sehr interessierte und sehr lebhafte Diskussion. Doris Flack und Claus Walischewski hatten wieder – sehr routiniert – die schwierige Arbeit der Übersetzung übernommen. Die Veranstaltung war der Beginn einer Reihe mit Vortrags- und Kulturveranstaltungen, die zum beschämenden „Jubiläum“ der 50-jährigen Besatzung Palästinas vom AK Nahost Bremen, der Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft (DPG), dem Israelischen Komitee gegen Hauszerstörungen (ICAHD), dem Bremer Friedensforum, dem Bremer Informationszentrum für Menschenrechte und Entwicklung (biz) und dem Kairos Palästina Soliaritätsnetz Gruppe Bremen organisiert wird. Weitere Informationen hier und auf der Website des Ak Nahost Bremen und des Nahost-Forums Bremen: www.nahost-forum-bremen.de

Übrigens: die Reise von Daniel Seidemann und Saman Khoury mit Veranstaltungen jeweils in Berlin, Hamburg und Bremen, wird unterstützt vom Bildungswerk der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin.
Sönke Hundt

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